Ebenfalls in Braunschweig entstand „Nova Park“; den Wettbewerbs-Beitrag der Leipziger Studierenden Marie Lucienne Verse hat Sena Zahirović in sehr konkrete Video-Sequenzen gefasst. „Nova Park“ ist ein psychiatrisches Krankenhaus, sehr offen geführt vom Direktor, den wir zu Beginn das Haus betreten und es am Ende wieder verlassen sehen (übrigens am Bühneneingang des Kleinen Hauses in Braunschweig); das Publikum verfolgt Szenen mit Patienten und Angehörigen auf der unablässigen Suche nach der Bedeutung von Freiheit und Isolation. Das ist fast schon „well made“ – bei weiterer Ausarbeitung des Materials dürfte die Autorin auch ohne Festival-Preis genau so große Chancen bei der Suche nach Aufführungsorten haben wie die Leipziger Kommilitonin Gneuß mit der Dokumentation über Frauen und Abtreibung.
Johannes Koch, der dritte Leipziger und letztliche Sieger im Wettbewerb, ist mit „Jeder Mensch ist schön…“ strukturell weniger leicht durchschaubar vorgegangen; wenn auch nicht ganz so kryptisch wie der Hildesheimer Bruno Brandes in den Phantasien vom eigenen „Ideal“. Deutlicher kreist Kochs Text um die zentrale Ich-Figur, die den schmerzhaften Kampf um die immer von außen verordnete Schönheit durchleidet; genauso wichtig aber (und darauf konzentriert sich die Magdeburger Inszenierung von David Stöhr) ist das Gewirr der kollektiven Stimmen um dieses Ich herum. Das Regieteam entwickelt mit gehörigen Mengen elektronischer Software eher einen Kurzfilm als ein Theaterstück, prallvoll mit Überblendungen von neben-, vor- und übereinander gelegten Bilderwelten; gerade der Text also, der nun außer dem Preisgeld von 6500 Euro auch die Garantie zur Uraufführung erhält (jetzt schon geplant für den 21. Mai kommenden Jahres), sieht fürs erste am allerwenigsten nach Theater aus.
Dieses Ungleichgewicht verursacht denn auch das massivste Unwohlsein nach diesem virtuellen, zwangsweise ins Netz verfrachteten Wettbewerb – so gut die Vorstellung neuer Texte auf diesem Weg auch funktionieren mag (besser fast als in der normalen Darreichungsform mehr oder minder überzeugend verlesenen Papiers), so groß ist offenbar für Regisseurinnen und Regisseure die Verlockung, das Theater einfach mal Theater sein zu lassen und alle technologisch mittlerweile möglichen Medialisierungen ins Spiel zu bringen. Dabei geht (oder ginge) es doch vorerst noch nicht um die Kurzfilmtage in Oberhausen, sondern zentral um die Chancen, die ein Text auf der Bühne und mit realem Publikum bekommen soll – oder nicht? Vor großen oder kleinen Bildschirmen zu sitzen und Realisierungen zuzuschauen, die nur für Mattscheibe erfunden wurden, lässt zum Abschluss doch nochmal an Lessing denken: „Es ist so traurig, sich allein zu freuen“.
Das traurigste Bild nämlich steht am Ende – da prosten einander Dramaturginnen zu, Autorinnen und Autoren, Juroren und Jurorinnen und die Mitglieder der Ensembles in Braunschweig und Magdeburg; jeder und jede für sich allein im kleinen Video-Bild spürt ganz genau, wie recht Lessing hat. Die Überlebenskraft des Theaters liegt woanders – im Zusammensein; nicht im „Ich“, sondern im „Wir“; wie klein auch immer es sein mag.