Und auch mit dem „Stück“-Begriff ist das so eine Sache; „Stücke“ (oder gar „Stück-Werk“) wäre besser. Brandes gestaltet (wie so viele das tun) eine Textfläche, deren Handlungsmomente minimal ausfallen. Sehr gelegentlich ist eine Reise zu erahnen, das Meer und ein Hotel am Strand; und entweder dort oder wo auch immer schaut das Autoren-Ich gemeinsam mit den schwer auszumachenden Figuren um ihn herum vor allem nach innen, tief ins Ich. Dabei wird immer wieder auch der Begriff vom „Ideal“ beschworen, und zwar so ambivalent und ziellos, dass wohl tatsächlich ein ganzes Leben lang am „Ideal“ gearbeitet wird – aber ohne auch nur einen Hauch von Chance, dass es sich realisieren ließe, dieses wunderschöne Ideal. Und dann ist es halt vorbei, das Leben. Und der Weg war das Ziel.
Christoph Diem, Schauspiel-Chef in Braunschweig, hat die Ungreifbarkeit des Textes szenisch sehr angemessen zum Thema werden lassen – indem er zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler an Podesten, zwei weiter vorn auf einer Bühne, zwei weiter hinten, lesen und sie dann immer mal wieder im Uhrzeigersinn die Podeste wechseln ließ. So kommt gar nicht erst die Vorstellung von „Rollen“ auf. Dahinter gibt’s in der Senkrechten einer Overhead-Projektion Bühnenhintergründe aus verschwimmenden, zerlaufenden oder sonstwie amorphen Wasser-, Öl- und Splitter-Bildern.
Der zweite Beitrag geriet in jeder Hinsicht viel konkreter: Wibke Charlotte Gneuß (die in Leipzig studiert) hat recherchiert für den Text, der „Glückwunsch“ überschrieben ist, aber genau davon, vom „Glück“, überhaupt nicht erzählt. Den Frauen nämlich, die hier zu Wort kommen, muss der Glückwunsch zur bestätigten Schwangerschaft wie blanker Hohn erschienen sein – denn sie wollten tendenziell eher keinen Nachwuchs. Die Autorin hat Betroffene gesucht und gefunden; mal mehr, mal weniger offensiv haben sie Auskunft gegeben. Und die Autorin hat diese Statements und Geschichten geformt. Natürlich weckt das die Erinnerung an die Aufregung um die legendären Bekenntnisse jener mutigen Frauen, die vor demnächst 50 Jahren, am 6. Juni 1971, auf dem Titel der Zeitschrift „Stern“ bekannten: „Wir haben abgetrieben.“ Und wer sich mit zeitgenössischen Formen von dokumentarischem Theater ein wenig auskennt, wird ansatzweise die Methoden der aus Göttingen stammenden „werkgruppe 2“ wiedererkennen.
Je eine von vier Darstellerinnen spricht in die Kamera, die anderen sind aber immer präsent – in optischen Miniaturen am oberen Bildrand und in gelegentlichen Zwischenschnitten; ganz so, als sprächen die vier nicht nur nach-, sondern irgendwie auch miteinander. Von falschen oder richtigen Vätern erzählen sie, von sinnloser Beratung, vom manchmal fürchterlich blutigen Vorgang selbst; eine wechselt aus der Küche (wo der Gesprächsanruf sie erreicht hat) gleich ins intimere Wohnzimmer, eine andere sitzt allein im Wohn-, die nächste eher im Schlafzimmer. Die älteste hat zwar offenbar die meisten Dramen hinter sich, sitzt aber am gemütlichsten daheim in der Küche, immer ein Glas Rotwein zur Hand. Sie hat das letzte Wort und meint den Wein: „Lecker.“
Petra Schönwald hat dieses Quartett inszeniert – und diese Konstellation geht dank der realen Räume weit über das hinaus, woran sich die Besucher von Autorenwettbewerben normalerweise immer wieder von neuem gewöhnen müssen: dass nämlich oft nur Papier in die Ohren quillt und dabei manchmal eben keine Phantasien freisetzt. Ohne die aber, ohne die Vorstellung realen Theaterspiels, muss ein Text schon extrem gut sein, um überhaupt zu wirken. Der Rest ist Hörspiel – und oft Langeweile.
Insofern gewinnen Autorinnen und Autoren durchaus durch dieses nur im Internet mögliche Format – alle Stück-Begegnungen bleiben auf der Webseite vom Theater Magdeburg einsehbar, auch die Gespräche danach; bis am Samstag, nach der letzten Präsentation, der Preis verliehen wird. Viel Erfolg allerseits!