Cover Katja Brunner: „Geister sind auch nur Menschen“, Gesunder Menschenversand, Luzern 2021

Medientipp: „Geister sind auch nur Menschen“ von Katja Brunner

Sprechen wir oft und ehrlich genug über den Tod und das Sterben? – Darüber wird auch in den Feuilleton gerne gestritten. Zurecht: Auf der einen Seite sehen wir auf Leinwänden und Bildschirmen ständig Menschen sterben, töten virtuell vielleicht sogar selbst und gerade in der Corona-Pandemie haben wir ständig über Todesraten gesprochen. Doch genau hier liegt ein Problem: Der Tod bleibt eine Zahl, ein dramaturgischer Kunstgriff oder ein Klischee. Auf der anderen Seite scheint der Tod im Alltag ausgelagert zu sein: in Altenheime und Palliativstationen – nur nicht damit beschäftigen, erstmal leben, die Neuerungen der Medizin werden es schon retten.

Die Autorin und Dramatikerin Katja Brunner beschäftigt sich in ihrem Schreiben mit den Themen Schmerz, Tod, Krankheit und Alter beschäftigt. Ihre Theaterstücke sind schonungslos und gleichzeitig einfühlsam. Zwei ihrer Arbeiten sind inzwischen auch in dem Buch „Geister sind auch nur Menschen“ erschienen.

Diese Texte leben vor allem von den unterschiedlichen Perspektiven, die in ihnen zu Wort kommen, als würde sie immer wieder zwischen verschiedenen Kameras hin- und herschalten. In „Ändere den Aggregatzustand deiner Trauer“ (2014 am Theater Luzern uraufgeführt) blicken die Lesenden scheinbar von hinten auf eine Beerdigung, wo die Menschen in ihrer Trauer zumindest vorläufig zusammenfinden. An einer anderen Stelle erzählt ein Junge, wie anstrengend es sei, ungefragt geboren geworden zu sein. Eine Mutter versucht dann zu verstehen, wieso ein Hamster unbemerkt fünfmal sterben kann, aber ein Mensch nicht. Ohne es direkt zu zeigen, erzählt sich zwischen diesen Szenen die Geschichte eines Selbstmords.

Der Lauf der Natur

Doch es geht noch um viel mehr und daran liegt auch die Stärke dieses Textes: Da ist eine alt Gewordene, die gegen die Anmaßungen der Zivilisation anspricht, die nicht aus ihrem Komfort heraustreten will. Ein Chor von Maden klagt über Hunger und der personifizierte Tod bedauert seine Einsamkeit. Es geht also nicht nur darum, die Anstrengung der Trauerarbeit zu zeigen, sondern auch um das Verhältnis des Menschen zu Natur.

Als Gegensatz dazu lädt uns der Text „Geister sind auch nur Menschen“ (2015 ebenfalls am Theater Luzern uraufgeführt) in ein Altersheim. Hier quillt einer Frau der Krebs aus den Ohren und beschweren sich die Bewohnerinnen und Bewohner über ihre Einsamkeit. Obwohl sich hier einige Klischees erkennen lassen, entwickelt sich dennoch eine Wucht – vielleicht, weil Katja Brunner selbst Erfahrungen in der Pflege gesammelt hat und weiß, wovon sie hier erzählt.

Das Schreiben von Katja Brunner ist geprägt durch genaue Beobachtungen und Wortspielereien. Wenn beispielsweise eine Heimbewohnerin ihre Falten als „Gesichtsverzierungen“ beschreibt: „Früher, da habe ich mir die Mühe gemacht, mein Gesicht aufzumalen, jetzt hab ich halt keins mehr.“ Oder wenn einer Person in der Selbsthilfegruppe die Erinnerungen ebenso ausfallen wie die Haare. In diesen Details verbergen sich spannende Anregungen zum Thema Körperpolitik, Lust im Alter oder die Beziehungen zwischen den Generationen, die in diesem Fall auch ein Verhältnis zur Vergangenheit herstellen.

Die Figuren oder vielmehr die Gestalten in den beiden Stücken reden oft aneinander vorbei. Häufig monologisieren sie, statt einen Dialog zu führen. Die Texte fügen sich daher sehr gut in die Buchform ein und wirken wie Prosa. Ein Warnhinweis muss allerdings gegeben werden: Da es sich um komplexe Themen und detailreiche Sprache handelt, sollte man dieses Buch nicht nach einem aufreibenden Theaterabend lesen, sondern sich lieber einen ruhigen Moment suchen. Andernfalls könnte sich der Text verweigern – dabei hat er doch soviel zu erzählen.

Katja Brunner: „Geister sind auch nur Menschen“, ISBN: 978-3-03853-119-7, hat 208 Seiten, ist 2021 erschienen und für 22 € im Buchhandel oder direkt beim Verlag Der gesunde Menschenversand zu erwerben.

Katja Brunner ©Rachel Israela

Katja Brunner ©Rachel Israela