Die Kürzungen der Theateretats in Berlin und München bedeuten eine neue Dimension von finanziellen Einschnitten. Sie bedrohen einige Theater existenziell, sind aber auch Indikatoren für den schweren Stand der Kultur gegenüber der Politik. Ein Einblick in die Situation der Theater im gesamten Land.
Im Herbst 2024 zeichnete sich ab, dass der Berliner Senat ab 1. Januar 2025 die Kulturausgaben mit dem Rasenmäher um zwölf Prozent kürzen wollte, und in der bayerischen Landeshauptstadt wurde bekannt, dass die städtischen Bühnen Volkstheater und Kammerspiele bis zu 15 Prozent einsparen sollen. Was bedeuten die in dieser Dimension neuen Einschnitte für die Häuser konkret? Und wie ist überhaupt die Lage im Rest von Theater-Deutschland?
Politik, Theater und das schwindende Vertrauen
Einen flächendeckenden Überblick zu bieten ist hier nicht möglich. Zu sehr veränderten sich die genauen Kürzungssummen noch vor Druck dieses Heftes. Auch sind in einigen Städten die Theater mit den Trägern noch in Gesprächen, andernorts gibt es vorerst keine Neuigkeiten. Letztlich, so zeigen die Entwicklungen in Berlin und München, sind die Zahlen nur ein Teil der Realität. Besorgniserregend erscheint neben den bloßen Einsparsummen und ihren Auswirkungen auf die Betriebe, dass sie ohne Rücksprache mit den betroffenen Institutionen aufgestellt und verkündet wurden, was für massive kulturpolitische Ignoranz spricht.
Im Ergebnis handelt dieser Schwerpunkt weniger von Zahlen als von (inneren) Werten: Ohne intensiven Austausch zwischen Verwaltung, Politik und Theaterszene, ohne die Einsicht von Verantwortlichen und Gesellschaft insgesamt in den Wert von Kultur wird dauerhaft auch der politische Wille zur finanziellen Unterstützung der Theater fehlen. Die Unsicherheit der Theaterszene wirkt wie ein schleichendes Gift auf das ohnehin angekratzte Selbstbewusstsein der Szene, auch wenn bislang alle Betroffenen erfreulich solidarisch agierten.
Den rechtsnationalen Feinden einer offenen Kulturszene käme eine innere Spaltung besonders entgegen. Dabei weckt das mediale Verschwinden von Theater und Kultur hinter den Krisen und Transformationen dieser Welt Erinnerungen an die Coronakrise. Das damalige Desinteresse am Theater hat tiefe Verunsicherung hinterlassen. Obwohl im Frühjahr ein Theater – das Berliner Ensemble – durch seine Inszenierung und den Livestream zu den CORRECTIV-Recherchen an der Aktivierung für die großen Demonstrationen für die Demokratie beteiligt war, fanden die Protestaktionen im Herbst gegen die in Berlin geplanten Kürzungen ohne großen Zulauf aus der Bevölkerung statt. Die teuren – oder im Fall Köln völlig aus dem Ruder laufenden – Sanierungen oder Neubauten von Theatern belasten das Ansehen der Theater in der Öffentlichkeit weiter. Dabei stehen bei zahlreichen Häusern in den nächsten Jahren dringende Restaurierungsmaßnahmen an. Und ob Streiks in den Theatern, wie sie von ver.di für den Jahresbeginn angedroht sind, für mehr Verständnis für die Kultur sorgen, ist zweifelhaft.
Kürzungen der Etats sind angesichts leerer öffentlicher Kassen nicht das einzige finanzielle Problem. Da die stattlichen Tariferhöhungen der letzten Jahre etwa an kommunalen Theatern in Niedersachsen nicht von Land oder Städten übernommen werden, sind gerade in diesem Bundesland kleinere kommunale Häuser wie das Schlosstheater Celle in Bedrängnis geraten. Zu diesem Theater, das Teile seines Programms der Jubiläumsspielzeit mit der stolzen Zahl 350 wieder absagen musste, mehr auf Seite 58. Größere Theater zehren noch von Rücklagen aus der Coronazeit, was allerdings dauerhaft auch nicht immun gegen Kürzungen macht.
Gefährdete Vielfalt: Freie Szene und Stadttheater im Fokus
Bereits im Sommer wurden Einsparungen im Etat der Staatsministerin für Kultur beim Fonds Darstellende Künste und Bündnis internationaler Produktionshäuser bekannt. Auf Seite 54 berichten wir über das Festspielhaus Hellerau. Hier wie in der gesamten freien Szene zeigt sich, dass diese Einrichtungen durch Zuschusskürzungen viel verletzlicher sind als fest installierte Stadttheater. Die Förderungen sind miteinander verwoben, und so drohen Dominoeffekte, wenn eine Förderung reduziert wird oder ganz wegbricht. Und nun treffen die Kürzungen in Berlin besonders freie Gruppen, etwa das Gefängnistheater aufBruch. Wer wirklich im Jahr 2025 aufgeben muss, ist noch nicht klar.
Projektförderungen erweisen sich in diesen Zeiten als besonders fragile Form der Unterstützung. Sie können, klug und planvoll angewandt, zwar positive Entwicklungen (etwa zu nachhaltiger internationaler Zusammenarbeit) fördern, bringen aber auch eine inhaltliche und damit künstlerische Einschränkung für die Antragsteller:innen. Und ist es nicht absurd, wenn sozialpolitisch wünschenswerte Entwicklungen befördert werden, aber die Etats für die Kunst in den Theatern gleichzeitig schrumpfen?
Gerade in einer Welt, die immer neue Krisen gebiert, und in einer Gesellschaft, die sich statt mit wichtigen Fragen wie konkreten Plänen gegen den Klimawandel mit Pseudodramen wie jenem um das Ende der Ampelkoalition befasst, wäre der empathische Blick auf Mitmenschen und die klare Analyse der Gesellschaft im spielerischen Experiment so wichtig. Die inzwischen von den Theatern erwarteten Aufgaben nach außen (Ansprache neuer Publikumsgruppen, theaterpädagogische Projekte usw.) wie nach innen (nachhaltiges Wirtschaften, Inklusion, Digitalisierung usw.) sind deutlich mehr geworden, die ihm von der Gesellschaft dafür zur Verfügung gestellten Mittel jedoch nicht. Andererseits muss es nach Corona nicht überraschen, dass die öffentliche Hand weniger Geld zur Verfügung hat.
Ausgerechnet in der Hauptstadt Berlin und im leuchtenden München bewegen sich die drohenden Einschnitte in den Kulturetats in deutlich höheren Dimensionen als in bisherigen, alle paar Jahre wieder aufbrechenden Debatten zur öffentlichen Theaterfinanzierung. Über zehn Prozent an Kürzung der Zuschüsse ist immens, wenn der Etat zu 85 Prozent aus festen Personalkosten besteht. Wenn die Einsparungen dann ab 2025 greifen sollen, während längst die Verträge mit freien Künstler:innen wie Regisseur:innen getroffen sind, wird es vollends existenzbedrohend. Im Interview (Seite 51) stellt Iris Laufenberg, Intendantin des Deutschen Theaters in Berlin, infrage, wie Theater und Kultur so in der Hauptstadt weiter funktionieren sollen. Reaktionen auf die Sparmaßnahmen und ihre Folgen in Berlin lesen Sie auf Seite 48.
Es geht in Berlin angesichts der beschlossenen Kürzungen nicht, wie von der Verwaltung dargestellt, darum, schlanker zu werden, sondern darum, ob Stadttheater mit Ensemble und Repertoire noch funktionieren können, ob freie Künstler:innen sich andere Berufe suchen müssen und ob Theater und Projekte für Kinder und Jugendliche eingestellt werden müssen. Immerhin hat die Berliner Koalition hier noch einige besonders verheerende Kürzungen, etwa beim GRIPS Theater, zurückgenommen. Doch dem Kultursenator Joe Chialo scheint insgesamt ein gutes Verhältnis zu seinen Senatskollegen wichtiger zu sein als die Pflege der wertvollen Theaterlandschaft. Wie widersinnig manche Sparpläne waren, zeigte sich am – glücklicherweise in letzter Minute revidierten – Sanierungsstopp der Komischen Oper. Die Berufung der Kuratorin Çag˘la Ilk als Intendantin des Maxim Gorki Theaters erfolgte geradezu handstreichartig, sie weckt Erinnerungen an den vor wenigen Jahren völlig missglückten Versuch, die Volksbühne nach Frank Castorf in eine neue Ära zu führen. Diesem Haus droht nach der mit der herbstlichen Unruhe verbundenen Absage der designierten Zwischen-intendanz das weitere Ausbluten.
In München wurde schon länger über Einsparungen im Kulturetat geraunt, die Entscheidung im Stadtrat fiel nun kurz vor Weihnachten. Die Herausgeberin des Münchner Feuilletons Christiane Pfau, eine engagierte Kämpferin für die Kultur der Stadt, schildert auf Seite 56 ihre persönliche Einschätzung dazu. Und Sven Schlötcke, Co-Leiter des Mülheimer Theaters an der Ruhr, legt in seinem mit biografischen Erfahrungen in der DDR unterlegten Text auf Seite 52 dar, dass die Theater intern reformbereit werden müssen. Auch, um künstlerisch glaubwürdig für eine gerechtere Gesellschaft eintreten zu können.
Die Theaterfinanzierung der Länder ist in vielen östlichen Bundesländern bei aller politischen Instabilität in den Parlamenten vergleichsweise langfristig aufgestellt. Thüringens bis Ende 2024 amtierender Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff konnte vor der Landtagswahl die Theaterfinanzierung bis 2030 absichern. Er beschreibt auf Seite 62, warum aus seiner Sicht die Theater in einer Gesellschaft, in der rechtsradikale Ansichten verbreiteter werden, umso wichtiger sind. Aus Sachsen ist seit Anfang Dezember zu hören, dass Häusern wie dem Theater Plauen-Zwickau schon 2025 das Aus droht.
Perspektiven und Lichtblicke in schwierigen Zeiten
Ein positiver Leuchtturm ist derzeit die Kulturförderung der Freien und Hansestadt Hamburg. Hier werden im Jahr 2025 die Kulturausgaben angehoben, wovon besonders die Privattheater profitieren. Elf Prozent mehr für die Theater im Jahr 2025 klingen großartig. Und doch sind sie auch bitter nötig, „um die Menschen im Kulturbereich – insbesondere auch in der Stadtteilkultur – besser zu bezahlen und um die Inflation und die Folgen der aktuellen Krisen auszugleichen“, so Senator Carsten Brosda im vergangenen Sommer. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Berliner und Münchner Kürzungen noch verhängnisvoller. So haben uns einige Theater und Landesverbände des Deutschen Bühnenvereins mitgeteilt, dass Erhöhungen der Etats oft nicht für die steigenden Personalkosten ausreichen. Dabei ist der Fachkräftemangel längst für Theater in großen Städten wie als kleine Stadttheater ein riesiges Problem.
Unsere Nachfragen zeigen, dass den Stadttheatern wie freien Gruppen Planungssicherheit besonders wichtig wäre, um sich aufs künstlerische Kerngeschäft konzentrieren zu können. Angesichts langjähriger struktureller Probleme wie Unterbezahlung vor allem im künstlerischen Bereich, die in den letzten Jahren durch Tariferhöhungen einigermaßen aufgefangen wurden, und durch finanzielle Folgen (Inflation) der politischen Krisen der letzten Jahre ist die Lage der Theater jedoch – auch bei wohlgesinnter lokaler Politik – insgesamt deutlich angespannter geworden.
Die wirtschaftliche Situation zahl-reicher Theater ist ernst, das gesellschaftliche Klima samt Sorge vor einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise nicht unbedingt kunstfreundlich, die Kulturpolitik teils erschreckend theaterfern. Dabei lehrt ein Blick in die zahlreichen Jugendclubs, dass die Theater sehr wohl gebraucht werden. Für den nach vorne weisenden Abschluss dieses Schwerpunkts haben wir daher am LUTZ in Hagen Stimmen von Jugendlichen gesammelt, zu lesen auf Seite 64.