Bürokratie im Theater

Nicole Schneiderbauer, Regisseurin und Mitglied des Leitungsteams im Schauspiel am Staatstheater Augsburg, und Thomas Eisenträger, Verwaltungsleiter am Theater und Orchester Heidelberg, im Gespräch über nervende und hilfreiche Bürokratie

aus Heft 04/2023 zum Schwerpunkt »Bürokratie im Theater: Wo sie hilft, wo sie nervt«

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Wann und wobei haben Sie zuletzt mit behördlichen Vorgaben zu tun gehabt, sodass Sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gedacht haben, hier liegt eine unnötige Störung des Theaterbetriebs vor?

Thomas Eisenträger: Bei einer Auftragsvergabe hieß es, dass ein Internetpreisvergleich nicht als Angebot gewertet wird. Daraus ziehe ich den Schluss, dass da bestimmte Vorschriften nicht mit der Zeit Schritt halten. Man könnte ja regeln, wie solche Preisvergleiche ablaufen sollen, aber dass es in einigen Bereichen gar nicht zugelassen ist, kann ich schwer verstehen und im Haus vermitteln.

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Nicole Schneiderbauer: Zuletzt bei einer Bauprobe, da ging es um Brandschutzbestimmungen und die Frage, wann und wie die eine gewünschte Kerze auf der Bühne erprobt werden kann. Das war ein Moment der Irritation bei mir.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Stadttheater sind eher kleine, aber sehr komplexe Systeme: aufgrund der zahlreichen Berufsgruppen und der Besonderheiten der künstlerischen Arbeit von Teams auf einen Premierentermin hin. Wie weit braucht es da eine klar strukturierte Verwaltung?

Thomas Eisenträger: Im Kern geht es am Theater immer um das Künstlerische. Und je besser die Verwaltung, also die Form organisiert ist, desto mehr profitiert die Kunst davon.

Nicole Schneiderbauer: Je klarer die Struktur, umso einfacher ist die Arbeit im künstlerischen Bereich. Und natürlich haben Vorschriften viel mit der Schutzfunktion für Mitarbeitende zu tun.

Thomas Eisenträger: Es geht um den Schutz von Mitarbeitenden, um den von Zuschauer:innen im Bereich Sicherheit oder Datenschutz, und es geht um öffentliches Geld, das ausgegeben wird.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Gibt es nicht zuweilen trotzdem ein Zuviel an Regulierung?

Thomas Eisenträger: Ich stelle immer wieder Überforderungen im Bereich Dokumentation fest. Nicht der regulierte Einsatz von Feuer oder einer Leiter auf der Bühne ist das Problem, sondern deren Dokumentation. Als Jurist kann ich zwar verstehen, dass Handeln im öffentlichen Bereich nachvollziehbar sein soll, aber es geschieht oft aus der Sorge für den besonderen Fall der Fälle heraus. Man kann aber nicht alle möglichen Lebenssituationen dokumentieren; es muss nach Augenmaß abgewogen werden.

Nicole Schneiderbauer: Dazu kommt, dass wir alle in diesen Bereichen, sei es Datenschutz oder Arbeitssicherheit, keine Spezialist:innen sind; sie erfordern aber viel Expertise. Dafür müsste man Stellen schaffen, damit es Verantwortliche gibt, die das Wissen in den Betrieb geben. Wie strukturiert man dann die Abläufe, dass es möglichst unkompliziert läuft?

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Es steht ja der Vorwurf im Raum, dass die Verwaltung am Stadttheater zu viel Ressourcen frisst. Und die müsste, wie Sie sagen, eigentlich noch ausgebaut werden.

Nicole Schneiderbauer: Ja, das geschieht auch. Wir haben beispielsweise eine Fachkraft für Arbeitssicherheit und Brandschutz und eine:n Expert:in für Datenschutz.

Thomas Eisenträger: Ich würde unterscheiden zwischen Regeln, die für alle Unternehmen gelten, etwa Mindestlohngesetz oder Datenschutz, und speziellen Regeln für den öffentlichen Bereich, wie das Vergaberecht. Dazu gibt es interne Regeln, die man sich selbst überlegt. Für Letzteres ist Verwaltung vielleicht gar nicht der richtige Begriff, weil es eher um eine Strukturierung der Arbeit geht. Ich versuche, den Betroffenen den Umgang mit Vorschriften möglichst leicht zu machen, und wenn der Bereich personell gut besetzt ist, ist es auch möglich, andere dadurch zu entlasten, damit sie die Arbeit in ihrem technischen oder künstlerischen Bereich machen können.

 

Nicole Schneiderbauer © Martin Sigmund

 

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Dann ist eher nicht abzusehen, dass an den Stadttheatern, an denen Sie arbeiten, die Verwal­tungen in den nächsten Jahren verkleinert werden? (allgemeines Lachen)

Nicole Schneiderbauer: Es stehen gerade sehr viele Transformationsprozesse an, und ich bin gespannt, wie sich diese mit-einander verzahnen lassen. Eine große Rolle spielt dabei die Digitalisierung, die etwa bei der Dokumentation von Prozessen helfen kann. In jedem Fall braucht man Fortbildungen, weil man den Umgang mit all diesen Mitteln, Möglichkeiten und Tools erlernen muss. Erst dann könnten die anderen Fragen mithilfe der digitalen Technik gelöst werden. Durch unsere Interimssituation und die Pandemie hat sich viel getan, aber es braucht einfach Zeit, um beispielsweise Tools wie Microsoft Teams in Arbeitsabläufe zu integrieren.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Während der Pandemie, die nach drei Jahren nun beendet zu sein scheint, wurde an den Theatern digital aufgerüstet und kaum Theater gespielt. Hat diese künstlerische Auszeit zu einem Ausbau der Verwaltung geführt?

Thomas Eisenträger: Bei uns wurde da nichts aufgebaut. Wir waren mit der Abwicklung der Kurzarbeit beschäftigt – das war für die Theater ja neu. Für den Personalbereich war das sehr aufwendig. Das Thema scheint nun abgeschlossen, dafür sind wir jetzt mitten im Energiethema.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Ist Kurzarbeit ein Beispiel dafür, dass Bürokratie auch ein Segen für das Theater und die Kunst sein kann?

Thomas Eisenträger: Es gibt Instrumente, die helfen. Inhaltlich sind 99 Prozent der geregelten Themen sinnvoll: Datenschutz, Arbeitssicherheit, Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht, Vergabe. Die Frage ist eher, wie die Umsetzung in den Regelungen gelungen ist. Behindert sie die Arbeit, oder ist sie zu aufwendig? Bei Förderprogrammen stellt sich teils die Frage, ob ich das Plus an Förderung nicht in Arbeitszeit zur Bewältigung des Antrags investieren muss.

Nicole Schneiderbauer: Es gibt fixe Regelungen, an denen man nicht rütteln kann. Aber gerade im Bereich der Produktion gibt es viel Aushandlungsbedarf und -möglichkeit und gemeinsames Entwickeln und Austarieren.

Thomas Eisenträger: Ermessensspielraum gibt es auch im Umgang mit Behörden. Letztlich hängt stark von den Menschen in den Ämtern ab, wie Spielräume genutzt werden. Bei Arbeitsagenturen ist die Kooperationsbereitschaft je nach Stadt sehr unterschiedlich ausgeprägt. Wenn man die Menschen auf der anderen Seite im Miteinander nicht hat, dann wird es schwierig, das eigentlich Vernünftige in den Regelungen umzusetzen. Das gilt natürlich auch intern.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Ist der menschliche Faktor auch zwischen künstlerischer Seite und Verwaltung im Theater entscheidend? Frau Schneiderbauer, haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie bei der Verteidigung der Kunst gegen eine Betonwand laufen?

Nicole Schneiderbauer: Aushandlungspartner sind vor allem Technik und Gewerke. Wir alle versuchen gemeinsam, das Konzept für eine Inszenierung umzusetzen. Und ich finde die Aushandlungsprozesse bei uns am Haus immer sehr konstruktiv. Ich habe nie erlebt, dass gesagt wurde: Das geht auf gar keinen Fall.

 

Thomas Eisenträger © Martin Sigmund

 

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Sie waren beide auch in der freien Szene oder bei Festivals tätig. Ist das Stadttheater die ideale Form der Betriebsorganisation für die Theaterkunst?

Nicole Schneiderbauer: Man hat unterschiedliche Zwänge. Finanziell und ressourcentechnisch ist man in der freien Szene in der Regel viel eingeschränkter. Die Produktionsprozesse sind anders, man kann mit allen Beteiligten prozessorientierter arbeiten; diese Freiheit hat man am Stadttheater so nicht. Dort gibt es eine Dispostruktur und eine langfristige Planung, sonst lässt sich dieser Höchstleistungsbetrieb nicht umsetzen. Für mich wäre eine Mischung ideal, eine größere Freiheit im Produktionsablauf und somit für andere Arbeitsweisen. Gerade wenn man nachhaltiges Produzieren im Blick hat, hat man in unseren Abläufen dafür gar nicht die Zeit.

Thomas Eisenträger: Wenn man eine Produktion anders plant, etwa zur Ermöglichung kurzfristigerer Entscheidungsmöglichkeiten, muss man es von vornherein mit allen so strukturieren. Das muss man dann als Projekt herausnehmen aus dem System. Der große Pluspunkt des Stadttheaters ist die Sicherheit. Es ist eine stabile Institution, die viel ermöglicht. Aber der Preis sind die Regeln, die dort gelten: In die muss ich mich fügen, oder ich versuche, sie zu ändern, wo es möglich ist.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Herr Eisenträger, könnten Sie sich auch vorstellen, Verwaltungsarbeit in einer kunstfernen Behörde zu leisten? Warum arbeiten Sie am Theater?

Thomas Eisenträger: Ich kann es mir nicht wirklich vorstellen. Ich habe im Kulturbereich meine Rolle gefunden. Je näher ich dem Inhalt, dem Produkt im Theater bin, umso schöner ist es für mich. Mein Denken ist ausgerichtet auf die Umsetzung eines Ziels, das ich dann auf der Bühne sehe. Das macht mir Spaß. Die Stärke im Theater ist es, aus der künstlerischen Produktion heraus flexibel mit den Bedingungen umzugehen. In kurzer Zeit funktionieren da viele Dinge, an denen zahlreiche Menschen beteiligt sind. Das ist eine Kraft, die es in anderen Bereichen nicht gibt.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Und wie geht es Ihnen in einer Leitungsposition, Frau Schneiderbauer? Würden Sie manchmal lieber ausschließlich Regisseurin sein, statt sich mit Organisatorischem befassen zu müssen?

Nicole Schneiderbauer: Manchmal schon, aber es macht mir auch großen Spaß. Weil man strategisch Einfluss hat, auf den Spielplan etwa, und gemeinsam Verantwortung für das Ensemble und das Haus übernimmt. Man kann als Team zusammenwachsen und etwas für eine Stadt entwickeln. Das finde ich sehr besonders.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Ist Bürokratie am Theater die beste Versicherung gegen autokratische, patriarchale Herrschaftssysteme?

Nicole Schneiderbauer: Ich denke schon. Über die Vorschriften und Regelungen gerät der Mitarbeitende ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Und solange es Leitungsstile oder Theaterverständnisse gibt, die autokratisches Agieren befördern, ist es sicherlich gut, das zu haben. Die Mitarbeitenden werden zudem davor geschützt, sich zu sehr selbst „auszubeuten“. Theaterberufe haben viel mit Leidenschaft zu tun. Aber es ist nicht immer sinnvoll, alles zu geben.

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Sind nicht längere Proben in der Endphase einer Probenzeit manchmal nötig?

Nicole Schneiderbauer: Nicht unbedingt. Wichtig ist, dass alle stabil zur Premiere kommen. Und dass die Taktung über die Spielzeit durchgehalten werden kann. Dafür sind Ruhephasen sinnvoll und natürlich auch für die Kreativität.

Thomas Eisenträger: Wir sollten auch respektieren, dass ein Parlament Gesetze wie das Arbeitszeitgesetz verabschiedet hat, über die sollte ich mich nicht hinwegsetzen. Wir erwarten ja auch von anderen Einrichtungen, dass sie sich an Gesetze halten.

 

© Patrick Bannwart und Phi­lipp Löhle

 

DIE DEUTSCHE BÜHNE: Zusammengefasst sehen Sie durch Bürokratie am Theater kein großes Problem?

Thomas Eisenträger: Ein grundsätzliches Problem sehe ich nicht. Manchmal scheinen mir Regelungen nicht mit der Realität am Theater abgestimmt zu sein, weil etwa öffentliche Stellen es gar nicht schaffen, alles umzusetzen – das betrifft aber nicht nur die Theater. Und Lernprozesse dauern sehr lange. Ich fände es besser, wenn es wenige Regelungen gibt, die bei Verstoß mit Strafen belegt werden. Und dass es darüber hinaus Hilfestellungen gibt, wie Dinge konkret umzusetzen sind. Bei der Energiesparverordnung etwa die Vorgabe mit den 19 Grad Temperatur im Theater: Da würde eine Empfehlung reichen, in der erklärt wird, warum es sinnvoll ist und was man tun kann.

Nicole Schneiderbauer: Es sollte stärker bedacht werden, wo die Mehrbelastung bei neuen Regeln landet. Wer kann die Mehrarbeit leisten? Und die Zeiträume für strategische Entwicklungen sind zu klein. Jeder wurstelt für sich allein herum.

Thomas Eisenträger: Die Scharnierfunktionen zwischen den Bereichen sind wichtiger geworden; oft gibt es dafür aber gar keine Stellen, sondern es werden andere, etwa in der Regieassistenz, damit beauftragt. Hier ist es wichtig, Menschen zu haben, die sich in beide Seiten hineindenken können.

Nicole Schneiderbauer: Das wird bei der Arbeitszeiterfassung ein interessantes Thema. Da hoffe ich auf gute Regelungen vom Gesetzgeber und dann vom Tarifausschuss. Einfach und strukturiert zu erfassen, dass es eine definierte Arbeitszeit gibt, macht ja Sinn.

Thomas Eisenträger: Eine Messbarkeit ist sinnvoll. Der Einsatz von Ressourcen, zu denen die Menschen auch gehören, ist für jedes Unternehmen essenziell und damit auch die Kenntnis über die zeitliche Verteilung. Nur damit sind gute Entscheidungen zu treffen.

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Ganz unbürokratisch: Vielen Dank der Staatsoper Stuttgart für ihre Gastfreundschaft bei dem Treffen inmitten der Theater Augsburg und Heidelberg!