Foto: "Mord auf dem Säntis", eine Kammeroper von Noldi Alder und Friedrich Schenker in der Panoramahalle Säntis, Konstanz. © Ilja Mess
Text:Elisabeth Maier, am 7. Juni 2011
Mit ihrem langen blonden Zopf erwürgt die Geisterfrau den Mörder Gregor Anton Kreuzpointner. Im Gewand der Appenzeller Sagengestalt Sennentunschi raubt die Sopranistin Jean-nine Hirzel dem vermeintlichen Verbrecher in der Kammeroper „Mord auf dem Säntis“ den Atem. Wie ein Wahnsinniger kämpft der emotionsgeladene Tenor Yikun Chung gegen ihre Kraft. Irre Blicke und Zuckungen verraten, dass der Fremde den Kampf verliert. Starke Bilder wie dieses findet die Regisseurin Jasmina Hadziahmetovic in ihrer Uraufführung des Werkes der Komponisten Friedrich Schenker und Noldi Alder.
Christoph Nix, Intendant des Stadttheaters Konstanz, hatte nicht nur die Idee für das packende Volksopern-Projekt. Er schrieb auch das Libretto, das auf einem wahren Fall basiert. Am 21. Februar 1922 soll Kreuzpointner auf dem Schweizer Säntis 2502 Meter über dem Meeres-spiegel das Wetterwart-Ehepaar Heinrich und Helene Haas getötet haben. Ob er tatsächlich der Mörder war, liegt im Nebel. Diffus bleibt der ungeklärte Fall auch in Nix’ Libretto. Der Jura-Professor und Theaterleiter hat in Archiven recherchiert und den Fall rekonstruiert. Mit dem Zwölftonmusiker Schenker und mit Noldi Alder, der in Appenzell lebt und der experi-mentelle Volksmusik erforscht, bleibt der Rechtswissenschaftler Antworten schuldig.
Marcel Fässler führt mit seinem kantigen Tenor durch den Wust dokumentarischen Materials. Am Ende klebt Blut an seinen Fingern. In der Panoramahalle auf dem Säntis-Gipfel tastet sich Regisseurin Hadziahmetovic an Hass und Aberglauben der Älpler heran. Hella Prokoph hat ein Bühnenbild geschaffen, das die bedrohliche Gebirgskulisse ebenso integriert wie folkloristische Fasnetskostüme. Mit der Südwestdeutschen Philharmonie verknüpft der musikalische Leiter Arne Willimczik die konträren Musikstile, die sich in ihrer innovativen Lust ergänzen. Nolders Naturjodler und Hackbrettklänge setzen Akzente in Schenkers traumatischer Partitur. Trotz starker Momente hat die Koproduktion der Komponisten etwas Fahriges.
Dass die ambitionierte Uraufführung dennoch unter die Haut geht, liegt auch am Charisma der Solisten. Jeannine Hirzels wachsweicher Sopran strotzt vor Sinnlichkeit. Mit seinem wuchtigen Bassbariton beschwört Johannes Schwärsky die Natur. Allerdings schwächt die Interpretationswut des Regieteams das ästhetische Konzept des internationalen Projekts: Ein politischer Erklärungsversuch des Doppelmords wirkt ebenso plump aufgesetzt wie die Stilisierung der Wetterwartsfrau zur Marienikone.