Foto: Martin Schläpfer: "Nacht umstellt" © Gert Weigelt
Text:Isabell Steinböck, am 8. Juli 2013
Atemberaubend schnelle Pirouetten, hohe Beine, virtuose Sprünge, verspielt wirkende Pas de deux: Der Anfang wirkt lebenslustig und fröhlich, mitunter auch komisch und originell. Eine Tänzerin trippelt in der Hocke auf Spitze, ein Tänzer robbt auf den Unterarmen über den Boden. Immer neue Paare treten auf, um sich alsbald ins Halbdunkel, an den Rand der Bühne zu stellen. Ihre Unbefangenheit wird sich bald legen, denn die Nacht ist nicht mehr weit…
„Nacht umstellt“ ist der Titel von Martin Schläpfers grandioser Uraufführung, die im Rahmen von b.16 im Opernhaus Düsseldorf zu sehen war. Der Ballettchef stellt sich erneut einer musikalischen Herausforderung, indem er Werke zweier Komponisten miteinander verbindet, die ungleicher kaum sein können: Franz Schuberts romantische Musik, die „Unvollendete“, „16 Deutsche Tänze“ und „Die Nacht“ – teils vom Orchester, teils vom Band eingespielt – wechseln mit modernen Orchesterstücken Salvatore Sciarrinos.
„Il suono e il tacere“ und „Shadow of Sound“, versiert gespielt von den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Wen-Pin Chien, sind anspruchsvolle Kompositionen flirrender, pochender sich wiederholender Klänge. In Zusammenhang mit Schuberts Kompositionen gelingt jedoch gerade durch diese extrem reduzierte Musik ein aufregender, musikalischer Kontrast, der sich entsprechend drastisch in der Choreographie niederschlägt: Auf wirbelnde Pas de deuxs folgt eine groteske Gruppenchoreographie für Männer auf Spitzenschuhen, die ihre gestreckten Füße lautstark in den Boden rammen, mit gebeugten Oberkörpern fallen oder sich kraftvoll über den Boden ziehen. Ein kongenialer, überraschender Bruch mit der schönen Fassade des Anfangs, als blicke man in die Abgründe einer menschlichen Seele oder auf die Schattenseiten des Daseins, das, im wahrsten Sinne des Wortes, von der Nacht umstellt zu sein scheint.
Es gibt viele starke Momente in diesem Ballett, etwa Yuko Katos poetisches Solo, ein Tanz, der die filigrane Tänzerin schließlich in die Knie zwingt, wie von einer unsichtbaren Macht beherrscht. Auf verschiedenste Weise gelingt es Martin Schläpfer, das Magische, Unheimliche, Kraftvolle in die friedvolle Atmosphäre des Anfangs einbrechen zu lassen, etwa, wenn sich das synchrone Ensemble in einer Massenszene mit lauten Sprüngen seitwärts bewegt wie ein Soldatencorps oder Tänzer ihre Partnerinnen vor sich her schleudern, als seien ihre langen, spitzenbeschuhten Beine Waffen. Männer drücken einander zu Boden, Frauen kauern verlassen am Bühnenrand, bevor am Ende, in einem strahlenden Pas de trois (großartig: Marlúcia do Amaral mit Bogdan Nicula und Remus Sucheana) endlich Ruhe und Frieden einkehrt.
Ein spannungsvolles, faszinierendes Ballett zwischen Klassik und Moderne, das die ersten beiden, kurzen Choreographien des Abends durch kraftvolle Formensprache und Originalität in den Schatten stellt. Sehenswert sind die beiden Tanzstücke dennoch, Jerome Robbins „Afternoon of a Faun“, ein Klassiker aus dem Jahre 1953, der, inspiriert von Vaslav Nijinskys berühmter, skandalumwitterter Choreographie zu Claude Debussys Komposition, „L`après midi d`un faune“, eine erotische Begegnung im Ballettsaal initiiert. Nicole Morel und Alexandre Simoes überzeugen als narzisstisches Paar vor dem imaginären Ballettspiegel, hin- und hergerissen zwischen Selbstbezogenheit und Faszination füreinander.
Um leises Verlangen geht es auch in Hans van Manens 2010 uraufgeführter Choreographie „Without words“ auf eine Instrumentalversion der „Vier Mignon Lieder“ von Hugo Wolf. Julie Thirault fasziniert als unnahbare, von drei Männern begehrte Frau, in einer formenstrengen, erotisch aufgeladenen Choreographie.