Foto: Sophia Euskirchen und Martin Gerke in "Der geteilte Himmel" am Theater Schwerin © Silke Winkler
Text:Sören Ingwersen, am 21. Januar 2023
Eine Liebe, die im Widerstreit zweier politischer Systeme zerrieben wird: Christa Wolfs 1963 erschienener Roman „Der geteilte Himmel“ wirft einen menschlichen Blick auf den damals noch real existierenden Sozialismus. Ihre nüchterne, eigentlich völlig undramatische Bestandsaufnahme des Lebens in der DDR in Form eines Musicals zu erzählen, erscheint verwegen. Am Mecklenburgischen Staatstheater geht man dieses Wagnis ein und hat ein entsprechendes Auftragswerk an Komponist Wolfgang Böhmer und Librettist Martin G. Berger vergeben, das nun im Großen Haus seine Uraufführung feierte. Die Türen zum ungeteilten Musicalhimmel öffneten sich dabei kaum.
Rita und Manfred lernen sich kennen und lieben. Sie ist aufgewachsen in der DDR, lässt sich als Lehrerin ausbilden, arbeitet in einer sozialistischen Brigade, die Fenster für Eisenbahnwagen herstellt. Er ist Chemiker, in Nazi-Deutschland groß geworden, stammt aus einem großbürgerlichen Elternhaus und betrachtet ihre Schwärmerei für sozialistische Ideale mit Argwohn. Schon als es weit oben auf der schräg abfallenden Rampe, die die Drehbühne in zwei Hälften teilt, unter scharf auffahrenden Bläsern zu ersten intimen Vertraulichkeiten kommt, weiß man: Diese Liebe ist zum Scheitern verurteilt.
Man weiß es auch, weil Librettist Martin G. Berger die erzählerische Klammer verändert: Während im Roman Rita die Geschichte im Rückblick nach einem misslungenen Selbstmordversuch erzählt, trifft im Musical Ritas Enkelin Emma auf den inzwischen gealterten Manfred, die beide mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen das Vergangene reflektieren, wobei das Potenzial erhellender Gegenwartsbezüge zu einer etwa wieder stark politisierten Jugend hier leider völlig verschenkt wurde.
Schwierige Verwandlung
So begnügt sich die US-amerikanische Regisseurin und Choreografin Melissa King mit einer historischen Rückschau auf vor allem ostdeutsche Befindlichkeiten der frühen 1960er-Jahre, als die Mauer noch nicht stand, während die Mecklenburgische Staatskapelle unter der Leitung von Martin Schelhaas den Sängern, Schauspielern und Tänzern ihr fein ausdifferenziertes Klangkolorit und anspornende Rhythmen zur Verfügung stellt.
Das operngeschulte Ballett X tut sich bei der Verwandlung in eine Musical-Kompagnie allerdings schwer. Ebenso bedient sich Komponist Böhmer in seinem auch bei gesprochenen Dialogen durchkomponierten Stück zwar des Musical-Idioms, allerdings ohne dessen Versprechen eines mitreißenden emotionalen Zugriffs einzulösen. Im Ohr bleiben hier nicht einmal die von Cornelia Zink gesungenen neumusikalisch verfremdeten „Schlager“, auch wenn das erstaunlich individualistisch bewegte Ballett der Werktätigen seine „Mission Impossible“ mit Anleihen an die Musik des gleichnamigen Agentenfilms unterstreicht.
Sophia Euskirchen und Martin Gerke geben als Rita und Manfred ein stimmstarkes, spielsicheres Paar ab, doch ihre in Musicalhülsen verpackte Gefühlslyrik lässt keine Herzen schmelzen. Starke Stellen findet man bei Böhmer dagegen oft, wenn er sich im freien Spektrum der Neuen Musik bewegt oder in der Nachfolge Kurt Weills die Tür zur Revue aufstößt. Herrlich parodistisch konturiert die Musik mit ihrer automatenhaften Kreisbewegung etwa die eisig angespannte Stimmung beim ersten gemeinsamen Essen des Paars mit Manfreds Eltern: dem verdrängungsfreudigen Patriarchen und Ex-Nazi Ulrich Herrfurth (Brian Davis) und seiner stocksteifen Frau Elfriede (Karen Leiber). Es sind Momente wie diese, die den Besuch der Aufführung lohnen. Inwieweit Christa Wolfs berühmter Romanstoff auch Fragen unserer Zeit aufgreift, und warum diese Fragen in der Form eines Musicals gestellt werden sollten, darauf gibt der Abend allerdings keine Antwort.