Foto: Kommt ein Schiff gefahren…: Szene aus Robert Wilsons „Messias“-Inszenierung bei der Mozartwoche Salzburg © Lucie Jansch
Text:Jörn Florian Fuchs, am 24. Januar 2020
Der rührige Frank Castorf antwortete einmal sehr charmant auf die polemische Frage, warum er ständig neue Stücke mit den immer gleichen Bühnenmitteln inszeniere: Nun ja, es gebe eben immer noch Stoffe, auf die er seine dialektische Methode bisher nicht angewendet habe. Fragte man Robert Wilson so etwas, dürfte die Antwort ähnlich ausfallen. Wobei Wilsons Methode freilich etwas simpler daherkommt. Kühle Bilder, starre Gesten, Assoziationen statt Handlung. Was einst revolutionäres Neuland war, ist mittlerweile zu einer weltweit erfolgreichen Masche geworden. Egal welcher Stoff, egal welche Besetzung: Immer liefern Wilson und sein Team pünktlich – und dabei ziemlich kostspielig – Gesamtkunsthandwerkliches.
Bei der Salzburger Mozartwoche erlebt man nun Wilsons Bildideen für Georg Friedrich Händels „Messias“, interessanterweise in der selten gespielten Mozart-Bearbeitung auf Deutsch, mit aufgewertetem Bläserklang, Verschiebungen bei Chor und Solisten und ein paar kleineren Eingriffen in die Struktur und Harmonieführung. Ein Spaß vor allem für Philologen und Trüffelsucher ist das, für Wilson spielt es keine Rolle, die englischsprachige Originalversion hätte sicher genau so ausgesehen. Große Äste schweben da herum, Wassermassen und Eisberge ziehen vorüber, gelegentlich bietet ein junger muskulöser Mann in Unterhose tänzerische Einlagen, dann wird plötzlich ein junges Mädchen von einem lebendigen Heuhaufen verfolgt. Nein, das ist jetzt kein Witz, Wilson erweist sich tatsächlich mehrfach an diesem Abend als Spaßvogel, wenn etwa der Chor als Vogelscheuchen-Heer auftritt oder Tenor Richard Croft als travestiehafter Conférencier-Typ dem Publikum auch mal die Zunge herausstreckt. Den Kontrast bilden eisige, schwarz-weiß-blaue Stills oder wandernde Lichtfelder. Da ist die Sache am stärksten, wenn Wilson reduzierte Bilder anbietet, die als Assoziationsgrundlage dienen und meditative Stimmungen erzeugen.
Wenn jedoch zur Textzeile „Er weidet seine Herde“ plötzlich ein kopfloser Mann auftaucht, der einen veritablen Hummer an einer Leine führt, wird es ärgerlich. Denn Wilson führt einen hier – vielleicht unabsichtlich – aufs Glatteis, unweigerlich versucht man aus den absichtsvoll sinnfreien (Alp)Traumbildern doch einen Sinn, eine Geschichte zu konstruieren. Ein weiterer Einwand ist mangelnde Präzision bei den Lichteffekten, da bewegt die wunderbar sanft timbrierte Altistin Wiebke Lehmkuhl ruckartig den Arm und eine knappe Sekunde später verändert sich das Licht – leider eben eine knappe Sekunde zu spät… Immerhin beherrschen Lehmkuhl und Richard Croft das strenge Gestenrepertoire perfekt, während die hell gurrende Sopranistin Elena Tsallagova und der Bassist José Coca Loza mit der Wilson-Welt irgendwie doch ein bisschen fremdeln. Wie auch der Wiener Philharmonia Chor, dem es zudem immer wieder an musikalischer Präzision mangelt.
Am Pult der Musiciens Du Louvre steht Marc Minkowski, den man zuletzt leider öfters als arg ruppigen, unberechenbar hyper-emphatischen Dirigenten erlebt hat. Hier jedoch gelingt eine Aufführung aus einem Guss, mit optimaler Klangdramaturgie und sorgsam gestalteten Höhepunkten.
Vor allem das berührende Finale, ein sich langsam drehendes Bäumchen, dessen Wurzeln schlussendlich in den Himmel weisen, versöhnt mit manch Verstolpertem und Merkwürdigem. Letztlich ist Wilsons hochästhetische Herangehensweise allemal sinnlicher und sinnvoller als eine rein konzertante Aufführung oder eine Inszenierung, die aus dem Konglomerat von locker aneinandergefügten Bibelszenen krampfhaft einen Handlungsbogen zu generieren versucht.