Foto: Schrekers „Der Schmied von Gent” an der Opera Ballet Vlaanderen © Wilfried Eetezonne
Text:Joachim Lange, am 3. Februar 2020
Es ist zwar nicht das Opernhaus in Gent, sondern jenes in Antwerpen, das jetzt mit Franz Schrekers (1878–1934) letzter Oper „Der Schmied von Gent“ einen veritablen Premierenerfolg beim Publikum hatte: für den Komponisten, für seine selten aufgeführte, ziemlich volkstümliche Zauberoper und für den deutschen Opernregie-Debütanten Ersan Mondtag. Doch wie immer wechselt die Produktion nach der Antwerpener Aufführungsserie in das andere der beiden Häuser der flämischen Zweistädteoper. Und wenn sich in Gent der Vorhang hebt, dann ist sie sozusagen am Ort des Geschehens angekommen.
Der Regisseur hat ihr obendrein noch einen Abstecher in die belgische Kolonialgeschichte verordnet, der über den historischen Aufstand der Flamen gegen die spanischen Besatzer und deren Herzog Alba hinausgeht, der sowieso schon in der Oper vorkommt. In der Opernhandlung gehört jener Herzog Alba nämlich zum teuflischen Personal, das der flämische Eulenspiegel, der Schmied Smee, clever austrickst. Als die Hölle nach sieben Jahren eines Lebens in Reichtum von Smee ihren Preis für diesen Pakt verlangt, trickst der die drei Abgesandten der Hölle aus. Er hatte für die großzügige Bewirtung von Maria und Joseph, nebst Neugeborenem, drei Wünsche frei: einen Pflaumenbaum, von dem man nicht wieder herunterkommt; einen Stuhl, aus dem man sich nicht wieder erheben kann; und einen Sack, aus dem man nicht wieder herauskommt, wenn es der Eigentümer nicht will. Das klingt auf den ersten Blick zwar ziemlich albern, erweist sich am Ende aber als äußerst nützlich, wenn es für den Helden ernst wird. Als das teuflische Alter Ego des Blutherzogs in jenem Lehnstuhl Platz nimmt, ist er für Smee keine Gefahr mehr und seine Landsleute nutzen die Gelegenheit, um es dem personifizierten katholischen Unterdrücker ihres Glaubens und spanischen Besatzer mal so richtig zu geben. Eine Extraportion Balsam für die flämische Seele.
Dieser Blick auf das Trauma der spanischen Besatzung fügt sich in Mondtags bunt stilisierte Ästhetik, obwohl oder weil jener Alba wie der Teufel im Kasperletheater aussieht. Mondtags Gent (der Regisseur steht auch für die Bühne) ist ein hinreißend doppelgesichtiges Konstrukt auf der Drehbühne. Auf der einen Seite ein halbes Dutzend stilisiert überzeichnete, bunte flämische Fassaden mit Spielflächen auf mehreren Ebenen – eine Stadt, die zusammengerückt ist. Die Rückseite dagegen ist ein furchterregender Moloch, der nicht nur die Zähne fletscht, sondern auch Babys frisst. Eins davon hat er schon in der Pranke. Das hat idyllischen Witz, der vom Märchen oder Comic kommt, samt einer Prise Jahrmarktsgrusel. All das gehört ebenso zum optischen Teil des Gesamtkunstwerkes wie die übermütig zwischen Epochen und Kulturen, aber auch Geschlechterzuschreibungen changierenden Kostüme von Josa Marx. Da Mondtag seine durchchoreographierte Personenführung ziemlich instinktsicher aus der Musik heraus beglaubigt, entsteht eine Leichtigkeit, die auch aus dem Kontrast zum vollen und sich bis ins Pathos hineinsteigernden Orchesterklang Funken schlägt. In jeder Hinsicht ist das ein pures Vergnügen für die Sinne.
Mondtag hat diese stringente Ästhetik mit einem Ausflug in die nicht gerade ruhmreich belgische Kolonialgeschichte angereichert. Wenn der Schmied Smee nach seinem Tod sowohl von der Hölle als auch von Petrus an der Himmelspforte zurückgewiesen wird, dann haben beide ihre Gründe. Der Hölle genügen die Erfahrungen, die ihre Abgesandten mit diesem Schlitzohr auf Erden gemacht haben. Und für Petrus ist der Höllenpakt des Kandidaten ein nachvollziehbares Ausschlusskriterium. Bei Mondtag tritt Smee nun aber in der Maske des mit seiner Kongopolitik ziemlich unrühmlich in die Landesgeschichte eingegangenen Königs Leopold II. auf. Immerhin entgeht hier niemand Patrice Lumumbas (von Juni bis September 1960 erster Premierminister des unabhängigen Kongo) berühmter historischer Abrechnung mit der Kolonialmacht. Vom Band eingespielt, wird diese vom Bühnenkönig deutlich lockerer aufgenommen als 1960 vom echten belgischen Monarchen. Mondtags Kongoexkursion bleibt allerdings eher ein Querschläger, dessen Motivation man verstehen, dessen Umsetzung man gleichwohl nicht für zu Ende gedacht halten mag. Die Belgier ließen den Exkurs des deutschen Regiewunderkindes in ihre eigene Geschichte passieren; und über die Zugangsberechtigung für Himmel oder Hölle mag eh jeder seine eigenen Ansichten haben. Für Smee geht die Sache am Ende gut aus. Mit der Gattin und den alten Freunden im Himmel vereint, feiert er ein veritables Happyend.
Diese Produktion ist aber nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch eine Pracht. Alejo Pérez schwelgt mit dem Symphonischen Orchester der Flämischen Oper nicht nur in der spätromantischen Orchesterfluten, er trifft den vorwärts drängenden, pulsenden Parlando-Sound ebenso wie den aufblitzenden Witz und die Wendungen zwischen den schmucken Fassaden der Lebenslust und den Abgründen, die auf dessen Rückseite drohen. Leigh Melrose ist ein so spielfreudiger wie markant eloquenter Smee von Format. Kai Rüütel die dazu passende, mahnende lebenspraktische Frau an seiner Seite. Wie eine Spielführerin aus einer anderen, vorzivilisatorischen Welt ist Vuvy Mpofu als Astarte nicht nur in der Hölle angestellt, sondern hier eine Art Naturgöttin, die erst einmal das Vogelgezwitscher zum Schweigen bringt, bevor die Musik beginnt, und die uns am Ende mit bannendem Blick allesamt fixiert und daran erinnert, dass die durchgespielte Himmel- und Hölle-Metaphorik nur eine Möglichkeit ist, die Welt zu betrachten. Bei den kleineren Rollen nutzten Daniel Arnaldos als Smees Geselle Flipke mit Bart und im Reifrock, Michael J. Scott als neidischer, am Ende aber versöhnter Slimbroek mit Vorliebe für Lila und Leon Kosavic als Herzog Alba in Teufelsgestalt jede Vorgabe, um darstellerischen und vokalen Eindruck zu machen. Die Besetzung macht bis hin zum Chor durchweg Freude!
Ihrem Ruf, ein ambitioniertes Haus zu sein, das bei der Auswahl der Stücke und der szenischen Handschriften auch mal etwas riskiert, ist die Flämische Oper mit dieser Produktion wieder einmal voll gerecht geworden.