"Mare nostrum" am Theater Zwickau

Zwischen Ernst und Irrwitz

Mauricio Kagel: Mare nostrum

Theater:Theater Plauen-Zwickau, Premiere:30.04.2015Regie:Jürgen PöckelMusikalische Leitung:Maxim Böckelmann

Aus Sprechen wird Gesang, der in zischende Sch-Laute mündet, von einer hellen Flöte begleitet. Bläser und Schlagwerk türmen Klangschichten auf, in die Stimmen herein klingen, die Gott besingen oder anrufen. Um Gott und „Wilde“ und eine abenteuerliche Seefahrt geht es in Mauricio Kagels inhaltlich wie musikalisch vielschichtigem „szenischen Spiel“ mit dem Titel „mare nostrum“ – so wie heutzutage die Rettungsaktion für afrikanische Bootsflüchtlinge im Mittelmeer heißt. Doch Kagels Protagonisten sind auf Eroberungstour, wollen sich ihnen fremde Länder und Menschen untertan machen. Bei Kagel heißt das „Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraums durch einen Stamm aus Amazonien“.

Für und mit dieser Produktion ist das Theater Zwickau ins Schumann-Haus umgezogen. In einem kleinen Saal hat Martin Rupprecht (Bühne, Kostüme) einen langen Steg gebaut, darauf zwei thronähnliche Gebilde, aus Stahl das eine, grasbedeckt das andere. An den Kronleuchtern baumeln leere Getränkeflaschen, ob Wohlstandsmüll oder nötige Wasserration, bleibt offen – wie vieles in diesen 90 Minuten. Platz für das kleine Orchester ist an der Seitenwand.

In diesem etwas surrealen Raum hat Operndirektor Jürgen Pöckel Kagels Werk inszeniert, vorsichtig bebildert. Die Protagonisten, Countertenor Daniel Lager und Bass Shin Taniguchi, tragen weiße Phantasiekostüme mit (Engels-)Flügeln, die sie sich nach und nach abreißen. Außer ihnen sind nur noch zwei stumme Helfer (Spieler 1 und 2) auf der schmalen Bühne, sie reichen Requisiten und verändern die Szene, in der die Sänger nach Land Ausschau halten, sich wie Herrscher gebärden oder Plastikdosen ins imaginäre Meer schmeißen.

Die Regie hält diese Szenen einer Kolonisierung und Unterwerfung einer fremden Welt in der Balance zwischen Stilisierung und Groteske, Ernst und Irrwitz. Genau das macht auch Kagels Musik aus, die der spannendere Teil der Inszenierung ist und die sechs Musikerinnen und Musikern unter der straffen Leitung von Maxim Böckelmann halten die Spannung konsequent hoch. Shin Taniguchi, der auch Sprecher ist, zelebriert die kunstvoll verdrehte Sprache Kagels; aber streitet sich auch singend mit Daniel Lager, Rücken an Rücken, mehr gegen- als miteinander. Sie sind die überheblichen Eroberer im Land der „Wilden“, die nie zu sehen, von denen aber zu hören ist.

Aber es gibt auch Momente der Furcht, des Flehens in diesem Spiel. Dazu die Ironisierung kirchlicher Rituale (kleine Kuhglocken, das Zerteilen des Wortes Ad-dio), der abrupte Wechsel zwischen Sprechen und Gesang, die aber auch ineinander fließen können. Und dann klingt noch, angeschrägt-verschnörkelt, Mozarts „Entführung aus dem Serail“ herein und der Countertenor Daniel Lager gibt dazu ein indigniertes europäisches Fräulein. Wunderbar.