Text:Andreas Falentin, am 5. März 2012
Jordi Galcerans „Groenholm-Methode“, ein Vierpersonenstück über Praktiken der Auswahl von Führungskräften in der sogenannten freien Wirtschaft, hat sich in den letzten Jahren als eines der erfolgreichsten Gegenwartsstücke auf deutschen Bühnen erwiesen. Das Theater Koblenz versucht mit seiner Produktion „Humankapital“ jetzt dem Stück eine neue Dimension hinzuzufügen, gleichsam über den Textrand hinaus zu denken.
Die Vorstellung beginnt in der Garderobe. Der Zuschauer muss sich für ein Papierarmband entscheiden. Sechs Farben stehen zur Wahl. Es folgt eine Aufführung des etwa 90-minütigen Galceran-Textes. Der – bis auf eine, in Zellophan verpackte riesige rote Polstergarnitur im Lounge-Stil – leere Raum ist bis zur Brandmauer aufgelassen. Die Schauspieler tragen spacige Kunststoffklamotten. Die ganze Ausstattung von Marlies Knoblauch ist auf Distanzierung ausgerichtet. Zu sehen ist eine Versuchsanordnung, nirgendwo Realismus. Auch die Figuren sind bis in die Gestik hinein typisiert. Natürlich setzt sich der rücksichtslose Macho gegen den ungeschickten intellektuellen Sensiblen, den eitlen, eleganten, noch Sensibleren und die intelligente Frau durch. Die drei stellen sich aber am Ende als Prüfungskomitee heraus, jetzt ganz in Schwarz gewandet wie im Klischee einer negativen Utopie, zerbrechen den Bewerber und geben ihm dann den Job. Maike Krause inszeniert handwerklich sauber, das Ensemble überzeugt durch Präzision und Konzentration. Allerdings schluckt der riesige, offene Raum nicht nur jede Illusion von Intimität, sondern teilweise auch die dramatische Substanz.
Nach der Pause wird das Publikum der Bändchenfarbe entsprechend in sechs Gruppen sortiert und je einem etwa einstündigen Monolog zugeteilt. Man erfährt nicht, welchem. Man erfährt nicht, was einem entgeht. Man ist Objekt, Spielball der Theatermacher, wie der Bewerber in der Grönholm-Methode Spielball der Psychologen war. Alle sechs Texte, darunter John von Düffels „Traumjobs“ und Nick Hornbys „Nipple Jesus“ kreisen um Verfügbarkeit, Abhängigkeit und Fremdbestimmtheit des Einzelnen, auch und vor allem in der Arbeitswelt. Die für viele abstrakte Situation des Assessment-Centers in Galcerans Stück wird an die Lebenswirklichkeit des Zuschauers herangeführt.
Vor dem eisernen Vorhang zum Beispiel spielt Tatjana Hölbing „Anna sagt was“, den unterhaltsamen Monolog einer Souffleuse von Peter Schanz. Der spürbar vom österreichischen Überautor Thomas Bernhard beeinflusste Text schildert die Arbeitsprozesse am Theater nicht ohne Charme als vertikales System von Eitelkeiten und Machtmechanismen. Wie einen Fetisch umkreist Tatjana Hölbling die Soufflage-Muschel und träumt sich in eine Wichtigkeit hinein, in der alle anderen von ihren Einsätzen abhängen. Nina Buzalka führt ihre Protagonistin, der man den Beruf jederzeit abnimmt, detailgenau. Der Text schwächelt ein wenig, wenn er auf die rein private Ebene gerät und Annas unglückliches Schicksal schildert, aber auch hier finden sich Verbindungen zur Grönholm-Methode. Am Ende des Abends stellen sich Fragen. Was ist mir entgangen, waren die anderen Monologe vielleicht cooler, noch schöner, noch näher dran am Thema? Und, auf „Anna sagt was“ bezogen: Wo war denn jetzt die Souffleuse bei dem Souffleusen-Stück? Unter der Muschel jedenfalls nicht. Hätte sich die nicht einmal, ein einziges Mal mitverbeugen sollen? Wegen der Thematik? Die nimmt man mit nachhause, was vielleicht die wesentliche Qualität von „Humankapital“ ist.