Foto: Ibsen im Tempel? "Ein Volksfeind" in Jo Fabians Inszenierung in Cottbus © Marlies Kross/Staatstheater Cottbus
Text:Peter Ziegenhagen, am 27. Mai 2019
Ein kreisrunder, weißer, hellerleuchteter antiker Tempel beherrscht die Bühne. Jo Fabian spielt mit der didaktischen Selbstsicherheit von Ibsens naturalistischem politischen Erfolgsdrama von 1882, indem er die Handlung von Beginn an in einem mächtigen, kreisrunden antiken Tempel zwischen kräftigen Säulen ansiedelt, vermutlich sogar in Athen. In diesem Tempel wird allerdings weniger gespielt als erzählt und debattiert: Von den Männern, während die Frauen, ebenfalls historisch weiß gekleidet, zu ihnen aufschauen.
Ibsens Stück ist kein Denk-, sondern ein Behauptungsstück, so didaktisch wie holzschnittartig. Wer es heute inszeniert, wird automatisch gemessen an Thomas Ostermeier, der 2012 die Figuren an der Schaubühne in heutigen Haltungen lebendig werden ließ. Ihm gelang eine Erfolgsinszenierung, die durch die Welt reiste. Fabian dagegen steckt die Bilder von Ibsen in eine historische Zeit, wirft einen ersten Blick auf die Erfahrungsräume der Demokratie und unterfüttert sie mit Texten aus unterschiedlichen Epochen. Leider werden die Agierenden oft von den Säulen verdeckt, und was sie sprechen und wer spricht, findet oft seinen Weg nicht bis in den Zuschauerraum. Wenn dies Absicht war, überzeugte es aber nicht, weil es den Zuschauer nicht in den Denkprozess der Inszenierung hineinließ. Gedacht wurde dennoch viel, wie das Programmheft mit seinem umfangreichen Glossar anzeigt.
Natürlich wird die Geschichte vom Badearzt Thomas Stockmann auf andere Weise dennoch erzählt.Der engagierte und durchaus eitle Mann hat der Stadt eine Badeanstalt mit heilendem Wasser beschert, will aber jetzt, nachdem er Krankheitskeime im angeblichen Heilwasser entdeckt hat,dies öffentlich machen. Doch die nötige, möglicherweise zweijährige Schließung des Bades während dessen Umbau wollen die entscheidenden Menschen der Stadtgesellschaft aus finanziellen Ängsten nicht mitmachen. Das Stück besteht aus vielen Diskussions- und Streitthemen, in denen wirtschaftliche Interessen schließlich über Wahrheit und Menschlichkeit siegen und der Badearzt als Volksfeind stigmatisiert wird.
Zuvor aber springt die Handlung – nach der Pause – ins bürgerliche Zeitalter des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit für diese Zeit typischer, solider dunkler Kostümierung: Die Männer mit Bowler und Jackett, die Frauen mit Stock und langem Kleid. Die Frauen tun sich im offenen Tempel zusammen, versuchen zu singen (Die Frau ist frei geboren), Motive von Aristophanes und Olympe de Gouges (Die Rechte der Frau) sind zu erkennen. Im emanzipatorischen Weiß treffen die Frauen sich im Säulenrund.
Wenn Stockmann, der seine Erkenntnisse weder in der Zeitung veröffentlichen noch als Druckblatt drucken lassen kann, in einer von ihm einberufenen Volksversammlung nicht zu Wort kommt, rettet er sich schließlich in eine große Kritik an der Obrigkeit und der Mehrheit der Bevölkerung, die stets gegen die Intereressen der Minderheit entscheide. Die fulminante Szene wird getragen vom famosen Gunnar Golkowski, der als Thomas Stockmann der Aufführung entscheidende Impulse gibt.Das ganze Cottbusser Ensemble bewährt sich in der figurenreichen Inszenierung, soweit es das Regiekonzept erlaubt, trefflich. So bekam das große, kopflastige Cottbusser „Volksfeind“-Projekt am Schluss doch noch sinnliche Verdeutlichungskraft.