Foto: Die Selbststilisierung macht erkennbar Fortschritte: Fabian Gröver als Kohlhaas am Saarländischen Staatstheater. © Astrid Karger
Text:Björn Hayer, am 19. Januar 2020
Bereits in Heinrich von Kleists berühmter Novelle „Michael Kohlhaas“ ist der gleichnamige Protagonist alles andere als ein Sympathikus. Durch die Obrigkeit widerfährt ihm zunächst Ungerechtigkeit: Nachdem der Rosshändler an einem Grenzposten zunächst seine Pferde als Pfand zurücklassen muss, erfährt er in Dresden, dass der Wegzoll unberechtigt gewesen ist. Doch damit nicht genug, bei seiner Rückreise nimmt er auch noch völlig abgemagerte Rappen in Empfang. Von unermesslichem Gerechtigkeitswillen getrieben, ersucht er Hilfe beim Kurfürsten, wird jedoch zurückgewiesen. Das ist der Beginn eines terroristischen Rachefeldzuges.
Wie würde man sich diesen ambivalenten Kämpfer, einen, wie es im Text heißt, „der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit“, heute vorstellen? Als Wutbürger? Als Attentäter? – wäre denkbar. In Marcel Luxingers satirischer Überarbeitung des Klassikers, betitelt mit „Kohlhaas – Ein Mann für jede Krise“, erscheint er als Schwerenöter und zwielichtiger Volkstribun. Mit der Fähigkeit des Wortes gesegnet, macht er sich zum Anwalt des Bürgertums und lässt sich derweil von verschiedenen Frauen und obskuren Gestalten lenken, darunter eine Wahrsagerin und eine Äbtissin und zuletzt Paracelsus und Nostradamus. Mal wettert er im Sog der Reformation gegen die Katholiken, mal gegen die Habsburger. Das Credo des Robin Hood-Verschnitts lautet: „Kein Mensch kann jemals vor den Herrschenden sicher sein.“ Was schließlich den Polemiker und Revolutionär mit markigen Sprüchen zum Fall bringt, ist nicht zuletzt seine ungebändigte Selbstsucht.
Einer, der unter alle Röcke schaut und nicht einmal genau weiß, wie viele Kinder er überhaupt hat, bietet natürlich für eine Inszenierung reichhaltig Stoff für Komik. Und so lebt Bettina Bruiniers Realisierung am Saarländischen Staatstheater auch allen voran von Überzeichnungen der Figuren, von Wortwitz und Situationskomik. Je mehr Kohlhaas (Fabian Gröver) sein eigenes Projekt der Selbstverwirklichung und -stilisierung verfolgt, desto mehr entgleitet dem „Kümmerer“ und politischen Stimmungsaufheizer der Wirklichkeitsbezug. Alles steht in dieser Aufführung daher unter dem Vorbehalt des Scheins. Tauf- und Gießwasser erweist sich als Glitzerkonfetti, Gaby Pochert verkörpert sowohl die Äbtissin als auch eine hexerische Prophetin und der zuletzt korrumpierte Protagonist verstrickt sich tunlichst in Widersprüche. Eine einstmals noch feste Weltordnung bricht auseinander: Nachdem anfangs noch einheitliche Holzstühle in streng geordneten Reihen zum Bühnenhintergrund gerichtet sind, dominieren bald schon nur noch billige Slogans mit aufgestellten Buchstaben aus dem „Kohlhaas Center“ den Raum (Ausstattung: Mareile Krettek).
Dass die Kostüme aus einer Mixtur mittelalterlicher und moderner Elemente bestehen, verleiht dem Abend eine zeitlose Aussagekraft. Geboten wird eine mal mehr, mal weniger lustige Parabel auf den verwegenen Politikbetrieb, insbesondere auf all die Populisten, trügerischen Vielversprecher und charismatischen Anwälte der kleinen Leute. Doch diese Erkenntnis drängt sich schon in der ersten halben Stunde der Inszenierung auf, die während der zweistündigen Dauer sichtlich an Drive verliert. Mit teils plattitüdenhaften Witzen und kaum Variation auf der Ebene von Handlung und Dialog läuft sich die Realisierung leer. Dies kann man nur bedingt der Regisseurin vorwerfen, es ist das Stück selbst, das lauwarme und fade Allerweltskritik an der politischen Elite liefert. Die Satire entspricht daher eher einem Satirchen: nett anzusehen, aber eben kein wirklicher Knaller.