Foto: Szene aus dem brillanten zweiten Teil des Abends von Natalia Horecna. © Dieter Wuschanski
Text:Ulrike Lehmann, am 16. April 2012
Mehrteilige Tanzabende mit Gastchoreografen sind ja bestens dazu geeignet, stilistische Kontraste in eine Stadt zu bringen und so zu zeigen, was Ballett alles kann (oder es zumindest versucht). Für den Tanzabend „Bilder einer Ausstellung“ hat der Chemnitzer Ballettchef Lode Devos zwei Damen verpflichtet, deren Choreografien in Tanzsprache und Ausdruckskraft kaum unterschiedlicher hätten sein können.
Für den ersten Teil „Dr. Emmrich 1849“ hat sich die französische Tänzerin Catherine Habasque durch ein Gemälde der Chemnitzer Kunstsammlungen inspirieren lassen. Doch inszeniert sie kein Abbild dieser bürgerlichen Familie um Justizrat Dr. Emmrich, sondern fokussiert die zwei jungen Frauen im düsteren Ringen mit sich und ihrem Lebensweg. Als Fluchtpunkt zurück in den familiären Hort dient ein stehender Reifrock, in den sich eine der beiden immer wieder verkriecht, Symbole von Kindheit (ein Teddy) und Reife (ein Handspiegel) herauszieht, sich krümmt und eitel gebärdet, während die andere mühselig in meterlangen Tüchern sich windet, zeitlupenlahm und bedeutungsschwanger all das. Die vom Band eingespielten, schweren Bach- und Brahms-Streichersätze tun ein Übriges. Es könnte spannend sein, was die schwarzbekleideten Tänzer vor schwarzem Hintergrund auf schwarzer Bühne an Bewegungsfluss beisteuern: wellenförmige Paarsequenzen und Kettenreaktionen von gegenseitigem Anstupsen, wenn Köpfe in Bäuche stoßen. Könnte – denn vor allem ist es dunkel. Und das nervt, denn es ist keine akzentuierte, sondern beliebige Dunkelheit.
Wie klug hingegen ein einziger, sekundenkurzer Lichtstrahl aus der Seitenbühne eingesetzt werden kann, wenn zwei Tänzer liegend hineinfallen, zeigt Teil zwei „Gloomy triptych on pink“ von Natalia Horecna, langjährige Solistin bei Neumeiers Hamburg Ballett und seit 2006 beim Nederlands Dans Theater I, für das sie bereits mehrere Choreografien schuf. Ihren Namen wird man sich merken müssen.
Ein burlesker Szenenreigen startet zu einem Tom Waits Song und vergeht mit allerlei witzigen und tragischen Bildern wie im Flug zu Melodien u.a. von John Cage, Terry Riley oder Steve Reich. Da legen vier Piraten eine flotte, mit inbrünstigen Schreien unterlegte Sohle aufs Parkett, ehe sie – schwups – mit einem Sprung im Graben landen. Skurril geht es weiter, und die Zeiger einer Wanduhr flirren hektisch im Kreis, während darunter die tot geglaubten, in weiße und schwarze Hemdchen gehüllten Körper abwechselnd von einer Bare steigen, geschmeidige Duette tanzen, synchron Arme und Oberkörper an den Rücken des Partners schmiegen, flirrende Zuckungen und Sprünge zu Elektroklängen aufschrecken, ehe sich beide freundschaftlich die Hand geben und wieder niederlegen in den Tod.
Flink wechseln Soli- und Ensembleszenen, vor allem in letzteren wird Horecnas DNT-Handschrift überdeutlich. In großen Tableaus fließen Synchronizität und intime Pas de Deux unmerklich ineinander – und das Chemnitzer Ballett zeigt sich den stilistischen Anforderungen mehr als gewachsen. Präzise gelingt jeder Übergang, vor allem schafft Natalie Horecna eine wohltuende Mischung aus ästhetisch anspruchsvollem Ballett und humoristischen Passagen: chorisches Hecheln, verzerrte Gesichter, und sitzend wird der synchrone Kopfschuss aller mit einem lauten „Plop“ verziert. Tragikomiker sind sie alle, und voller verstörender Fragen an das Leben.
In einer der stärksten Szenen reihen sich quer über die Hinterbühne alle Tänzer nebeneinander. Von rechts tritt nach und nach jeder vor, zeigt irgendeine Macke, tanzt eine kurze Sequenz, und reiht sich brav wieder ein, oder umarmt alle nochmal, oder klappt ein paar Köpfe zur Seite weg. Sie sind eins, und doch ist jeder anders. Ein bisschen wie wir alle. – Vielleicht hat es den ersten Teil des Abends als Kontrapunkt gebraucht.