Beim Einlass posiert ein Tänzer in hautfarbenen Trikot und angedeutetem Tutu mit weiblichen und männlichen Gesten, dabei ständig Kontakt haltend zum Publikum. In nuce ist in diesem Vorspiel die gesamte Handlung enthalten: Mit ihrem Ensemble untersucht Panero zwei mythische Gestalten der Liebe, den begehrenden Casanova (in Weiß) und den aggressiven Don Juan (in Schwarz) und zwar im historischen, wie im gegenwärtigen Bezug, wobei neben der Farbsymbolik die Überwindung des Geschlechts entscheidend die Choreographie prägt, Männer tragen schon einmal Tutuandeutungen in Plastik. Meisten tragen sie kurze Hosen und kurze Brustlatze, die an die Zifferlätzchen von Leichtathleten erinnern. Die Frauen tragen meist hautfarbene Trikots, manchmal weiße Tücher um den Kopf gewickelt, aber auch das Weiß des Casanova. Im Bewegungsvokabular sind viele sexuelle Vorgänge eingegangen, die anfängliche Zärtlichkeit der Zweierbegegnungen wird zunehmend aggressiver. Was auch damit zu tun hat, dass Panero im Spiel die Situation des Zuschauens, des Voyeurs thematisiert. Auf zwei Stühlen, deren Position ständig verändert wird, schauen Tänzer und Tänzerinnen mal unbeteiligt, mal direkt in das Geschehen eingreifend zu, wie sich immer wieder Paare aggressiv begegnen und ständig die Partner wechseln. Spannend dabei ist, zu sehen, wie es gelingt, Begehren in immer neuen Variationen entstehen zu lassen, aber auch die Spuren aufzuzeigen, die dieses Begehren in die Körper einschreibt.
Für „Faces of love“ hat die Ausstatterin Petra Mollérus einen Raum geschaffen, der von einem großen roten Mond dominiert wird. Wie in der aufdringlichen Schwarz-Weiß-Symbolik so ist auch der Mond bedeutungsschwer, er verändert sich ständig, wird zum Halbmond, dann zur Sichel, mal rechts, mal links, versucht also emotionale Stimmungen auszudrücken. Von oben herabhängende Plastikbahnen engen am Anfang und gegen Ende den Spielraum ein, den Marcus Denk mit seinem Licht eher in Dunkel taucht, nur manchmal wird mit Seitenlichtern eine Szene hell ausgeleuchtet. Auch Noel Pong arbeitet mit diesem Raum, nur die Plastikbahnen und die beiden Stühle sind verschwunden. Stattdessen steht nun im rechten Hintergrund eine Telefonzelle, die vom Bau her japanisch filigran wirkt. Denn die Choreographin ließ sich inspirieren von einem realen Ereignis: Nach dem Tsunami 2011, der japanische Küsten zerstörte und viele Tote zu beklagen waren, stellte Trauernde in Otsuchi eine Telefonzelle ohne Anschluss auf, in der Angehörige mit ihren Toten sprechen können. Obschon es um den Tod von geliebten Menschen geht, unterstützt von der melancholischen Musik, beginnt die Choreographie von Pong heiter. Das liegt zum einen an den Kostümen, die frühlingshaft dezent sind. Aber auch daran, dass sie anders als Panero, das Ensemble gemeinsam agieren lässt, bis hin zu einem Ringelreihen. Das aber in präzisen Abläufen. Darüber hinaus baut sie viele pantomimische Momente ein, die sehr stimmig wirken. Auch Emotionen werden in schöne Bilder umgesetzt, wie die zunehmende Melancholie: Schirme suggerieren Regen. Ein anderes Bild zeigt das Ensemble in japanhaften Kleidern, die dann nach einem scheinbar befreienden Tanz in die Luft geworfen werden.
Wo Panero auf Expressivität geht, da versucht Pong ganz aus der Innerlichkeit des Erlebens zu arbeiten. Das zehnköpfige Ensemble des Ulmer Tanztheaters meistert beides, es ist so gut besetzt, dass man niemanden hervorheben möchte. Meine Verbeugung vor Gabriel Mathéo Bellucci, Yoh Ebihara, Alba Pérez Gonzáles, Carmen Vázquez Marfil, Maya Mayzel, Edoardo Dalfolco Neviani, Nora Paneva, Seungah Park, Magnum Phillipy und Luca Scaduto.