Zwei Jahre Verspätung, andere Besetzung
Wie man weiß, verhinderte die Pandemie die Uraufführung – und das zu einem Zeitpunkt, als das Ende der Doppel-Intendanz Sasha Waltz und Johannes Öhman bereits absehbar war. Zwei Jahre später firmiert die „Sym-Phonie MMXX“ zwar noch immer als Produktion des Staatsballetts, aber keiner seiner Tänzer und Tänzerinnen ist daran noch beteiligt. Interpretiert wird das Werk ausschließlich von den 21 Ensemblemitgliedern von Sasha Waltz & Guest, und das ist gut so: Ganz unterschiedlich in ihrem Erscheinungsbild, fügen sie sich doch selbstlos ein in ein Gesamtbild, das immer etwas Skulpturales hat. Sasha Waltz ist schließlich nicht umsonst die Tochter eines Architekten. Man spürt das in ihrem Raumverständnis und in der Art und Weise, wie sie die Tänzer und Tänzerinnen freskoartig zu Tableaux vivants erstarren lässt. Dabei nimmt sie die Impulsivität der Musik durchaus wahr, die sich anfangs wellenartig aufbaut, als wollte Haas den Rhein ganz in Wagners Sinne noch einmal mit aller Macht und orchestralen Mittel zum Strömen bringen. Zwischendurch kann sie auch ganz zerbrechlich, ja anrührend zart klingen. Neben einem großen Schlagzeugapparat sind auch zwei unterschiedlich gestimmte Harfen hörbar im Einsatz.
Einzelszenen in sensbiler Lichtgestaltung
Das Programmheft nennt eine Fülle von Einzelszenen. „Not able to talk“ ist da beispielsweise zu lesen, „Shelter“, „Crash“, „Vulcano“ oder „Island“ und manches mehr. Wirklich erkennbar werden sie für den Zuschauer in ihrem Charakter nicht. Vielmehr reihen sie sich ein nach Maßgabe einer Musik, die die lautlose Wiederholung einer „Polyphonie der ,Massen’“ oder der „Theater der Soli“ ausdrücklich erlaubt. Natürlich macht das vieles vorhersehbar. Aber so wie der Gegensatz von Laut und Leise eine eigentümliche Spannung schafft, sorgt auch die scheinbar einfache, wenn auch nicht immer nachvollziehbare Kostümierung für Abwechslung. Ebenso wie die überaus sensible Lichtgestaltung von David Finn, die Kälte und Wärme ahnen lässt. Von der Staatskapelle Berlin ganz zu schweigen, die unter Leitung von Ilan Volkov selbst im Dunklen noch differenziert spielen kann.
Viele Vorstellungen der „Sym-Phonie MMXX“ sind vorerst nicht angesetzt. Umso mehr muss man sich ein paar Momente stark ins Gedächtnis prägen. So beispielsweise ein Auftritt der Frauen im zweiten Teil. Da tritt eine nach der anderen von rechts hinten auf, in seidige Abendkleider gehüllt und mit sich wiederholenden Bewegungen, als kämen sie geradewegs aus dem „Königreich der Schatten“ – und das ist bekanntlich eine der schönsten Szenen, die das klassische Ballett zu bieten hat. Klar, dass man sich da fragt, ob die zeitweilige Berufung von Sasha Waltz an die Spitze des Staatsballett nicht ihre tiefen, vielleicht sogar tiefgründigen Spuren hinterlassen hat.