Foto: "Bernarda Alba" am Theater Regensburg. Sadagyul Mamedova, Laia Garcia Fernandez, Simone Elliott, Harumi Takeuchi, Pauline Torzuoli © Bettina Stoess
Text:Vesna Mlakar, am 23. Februar 2015
Fast wie aus einer Hand – so stimmig fügen sich die beiden Uraufführungen des neuen Ballettabends in Regensburg zusammen: düster eingefärbte, jäh dynamische Bewegungsklaster, deren thematisches Bindeglied das weite Feld der Traumlandschaft ist. Auch der Raum, von Ausstatterin Dorit Lievenbrück mit surrealen Einfällen mittels drehbarer Bühne in einem Irgendwo machtvoller Empfindungsgefüge verortet, spielt dabei eine Rolle.
Seit der Leipziger Stephan Thoss den jungen Japaner Yuki Mori 2001 in seine Tanzkompanie an der Staatsoper Hannover engagierte, verbindet die beiden Männer eine enge künstlerische Bindung. Auch in Thoss’ Wiesbadener Direktorenzeit arbeiteten sie gemeinsam in einem Ensemble (damals noch als Mentor und Schüler), bis Mori 2012 nach Regensburg wechselte, um selbst Leiter einer Kompanie zu werden. „Zeit.Raum!“ übertitelte er den ersten eigenen Tanzabend, und sein älterer Kollege steuerte mit „Carmencita“ einen Teil des Programms bei.
Nun folgte am 22. Februar im Theater am Bismarckplatz ein dicht geknüpfter Doppelabend mit zwei beachtenswerten Kreationen. Der Auftakt gebührte dem Gast. Stephan Thoss, zwischen Basel (wo sein neues Stück „Die Liebe kann tanzen“ großen Gefallen fand) und Kanada(„Der Tod und das Mädchen“ für Les Grands Ballets Canadiens Montreal) auf Besuch in der Oberpfalz, nahm die Rastlosigkeit und Lebenshektik unserer Zeit zum Anlass, Moris Tänzer zu zwei Streichqartetten von Bryce Dessner und einer Musikcollage (Daniel Lett, Thoss) in einen atemraubenden Wirbel diverser, mehr oder weniger diffuser Nachtaspekte zu schicken. Aufgeputschte Paare, tanzgetriebene Menschen, die selbst zuhause wenig Ruhe, und schon gar nicht vor ihrem Innersten finden. Dabei sollte man schnell den Gedanken verscheuchen, „verstehen“ zu wollen. Thoss’ „Gefangen im tRaum“ ist eine rasant durch Körper und mobilen Raum fließende Hommage an den Irrsinn einer Zwischenwelt am Scheideweg von Realität und Traum, in der alles passieren kann. Nur eben nicht normal.
Mit Abartigkeit setzt sich auch Mori in „Bernarda“ auseinander. Federico García Lorcas Drama Bernarda Albas Haus aus dem Jahr 1963 diente ihm als Inspiration für ein berührendes Schaustück tragischer Unterdrückung durch männerfeindliche Muttertyrannei. Allein schon der zu Beginn über die Tanzfläche herabgelassene Metallrahmen macht die psychische Qual und das Eingesperrtsein der fünf Schwestern deutlich. Lediglich die wie Lampenschirme von der Decke hängenden Kleider suggerieren die Existenz einer besseren Außenwelt. Die jedoch bleibt bis zuletzt unerreichbar für Bernardas Töchter.
Mit Alessio Burani schickt Mori ein die Szenerie – selbst in Abwesenheit – beherrschendes und in seinen Auftritten Machtgenuss versprühendes Mannsweib in den Ring. Jelena Miletic nimmt dies im Kostüm – halb Hose mit Rock, ein Handschuh – auch optisch auf. Die Atmosphäre: Emotionsstau. Auf dem Plateau: nur Stühle. Damit die Stimmung nicht implodiert, visionieren Simone Elliott, Laia Garcia Fernàndez, Sadagyul Memedova und Harumi Takeuchi sich Männer herbei. Ein cleverer Schachzug des Choreografen, dem auf diese Weise ein wirkliches Kammerstück zu Philip Glass’ live (nur anfangs etwas wackelig) vom Philharmonischen Orchester Regensburg präsentierten „Violin Concerto No. 1“ gelingt. Ob im Furor der Verzweiflung oder tranceartig entschleunigt, das Tandem von Minimalmusik und Tanz funktioniert – auch im Fall der jüngsten Tochter (Pauline Torzuoli). Wie deren persönlicher Ausbruch aus dem Seelengefängnis endet, deutet Mori allerdings nur an. Zum Weiterträumen? Schön!