Sie sind lose miteinander verbunden, Familie, Freunde, Nachbarn – und einander so fremd, dass es schmerzt, ihnen zuzusehen. Krum, der verlorene Sohn, der seiner Mutter aus der Fremde nicht mehr mitbringt als einen Koffer voller Schmutzwäsche. Manchmal spricht er auch von dem großen Roman, den er schreiben will – wohl wissend, dass er den Traum längst hinter sich gelassen hat. Und Truda, die Freundin, für die er sich nicht entscheiden mag, nimmt dann halt den, der am Traualtar neben ihr auftaucht. Die lesbischen Nachbarinnen essen bei anderer Leute Hochzeiten und Todesfällen gegen die innere Ödnis an, während Dupa sie mit einem Ehemann für Pyjama-Abende zu füllen sucht und Krums Freund Tugati mit der eingebildeten Krankheit.
Es ist ein seltsames Werk, mit Anklängen an Beckett und das absurde Theater, aber mit matten Dialogen, die es dem Abend schwer machen, in Gang zu kommen. Hier wird der Stillstand nicht redend beackert, sondern mit jedem Satz weiter zementiert. Und in Mundruczós konsequenter Inszenierung ist es, als würde sich die existenzielle Trägheit dieser modernen Oblomovs in Materie verwandeln.
Verdichtet zu bleierner Zeit
Das grelle Licht, die in Badekleidung oder Shorts leicht geschürzten Menschen: Es müsste Sommer sein vor dem bühnenfüllenden Prospekt mit dem in wechselnden Lichtstimmungen schillernden Meerblick (Video: Rasmus Rienecker). Der Regisseur aber verdichtet ihn zur bleiernen Zeit, in der die Protagonisten feststecken wie Winnie in Becketts „Glückliche Tage“. Er lässt sie Leibesübungen vollführen, im ewigen einander Bespringen nach Gefühl suchen und zwischendurch ins Wasser hüpfen, als ließe sich wenigstens so der Stillstand lösen.
Und die Schauspieler bewegen sich im Text und auf der Bühne wie in einer trägen Masse. Zwar gefangen in steter leichter Erschütterung, aber ohne Richtung. Eindrucksvoll, wie es dem Ensemble gleichzeitig gelingt, Interesse zu wecken an diesen willenlos wollenden Geschöpfen. Barbara Nüsse gibt Krums Mutter zwischen greinender Enttäuschung und Erkenntnis Kontur. Maja Schöne lässt Truda mit zorniger Hellsicht auf ihr verkorkstes Leben blicken. Oda Thormeyer und Karin Neuhäuser ackern sich durch das Unglück einer Beziehung. Und dazwischen irrt Ole Lagerpuschs Krum als Sandkastenbubi umher, während Stefan Stern dem Hypochonder Tugati eine verstörende existenzielle Verzweiflung einzieht. Als echtes Ereignis knallt irgendwann Lisa-Maria Sommerfelds Zwitzi in die Szenerie. Mitsamt ihrem geilen Italiener. Und sie schafft es, sich den Stillstand mit unbekümmerter Präsenz und gelenkig wogender Direktheit als Lebensmodell anzupassen.
So wabern sie umeinander, suchen Nähe und halten Abstand, umwerben sich und heiraten, kränkeln und sterben ¬– während das wahre Leben angeblich anderswo läuft. Womöglich wie in „Truman Show“ hinter dem Meeresprospekt. Oder im Film, den Krum ihnen allen beschwört, im Italo-Easy-Listening, das Maja Schöne als so verloren schöne (Selbst-)Beschwörungsgeste in den Raum stellt – oder im ständigen Übereinanderherfallen, als könnte die pornografische Nacktheit verlorene Begierde herstellen.
Aber selbst, wenn alles so unverrückbar bleibt wie der Fels – am Ende ist das Leben trotzdem weitergegangen, mal mit, mal ohne die Figuren. Und das ist vielleicht das Tröstlichste an diesem seltsam ermatteten Abend.