Foto: Einer, der sich als Verlierer empfindet: Klaus Köhler als Roger in "Aggro Alan" © Andreas Etter
Text:Alexander Jürgs, am 22. Dezember 2019
Roger hat endlich entdeckt, warum es ihm so schlecht geht: Das „repressive gynokratische Regime“ ist schuld. Das Kratzen an der Männlichkeit, die MeToo-Debatte und dass man als Mann keine Gefühle zeigen darf. Aber Roger hat auch entdeckt, was dagegen hilft. Im Netz ist er auf die Texte und Videos von Aggro Alan gestoßen, einer Ikone der Männerrechtsbewegung. Alan erklärt Roger, was alles schief läuft, warum der Feminismus solch ein Übel ist und wie er, der geschundene Mann, wieder zu Selbstbewusstsein findet.
Das bringt Roger zum Tanzen. Klaus Köhler, der diesen verunsicherten Mann spielt, stampft auf, er hüpft, er springt. Und er spricht die Formel der männlichen Selbstvergewisserung, erst zaghaft, dann wie ein Mantra, dann laut brüllend: „Wir sind gut, wir sind mutig und wir sind klug. Gut, mutig, klug. Gut, mutig, klug.“ Dann feuert er, während die Elektro-Beats immer lauter werden, die anderen Männer im Publikum, die „Brüder“, an. Aufstehen sollen sie, in seinen Gesang einfallen, sich stark fühlen. „Come on“, brüllt er.
Mit dem Monolog „Aggro Alan“, im Original „Angry Alan“, ist der britischen Dramatikerin Penelope Skinner ein hervorragend recherchierter und facettenreicher Einblick in die verstörende Subkultur der Maskulinisten gelungen. Die New York Times listete das Stück, von der Autorin selbst 2018 uraufgeführt beim Edinburgh Fringe Festival, in ihrer Jahresbilanz „Best Theatre in Europe 2018“ an vorderster Stelle.
Am Mainzer Staatstheater sollte Skinners Monolog schon im September als deutschsprachige Erstaufführung zu sehen sein, doch ein gebrochenes Nasenbein des Darstellers durchkreuzte die Pläne. So kam es zu der verspäteten Premiere des Stoffs unter der Regie von Alexander Nerlich in der „Filiale“ des Staatstheaters, einem leerstehenden Kaufhaus gegenüber dem großen Haus. In Düsseldorf hat es zwischenzeitlich eine szenische Lesung von „Aggro Alan“ gegeben.
Die Menschen am Rand der Gesellschaft stehen schon länger im Zentrum von Skinners Texten. Zu ihnen zählt auch Roger: Den lukrativen, mit Prestige versehenen Job bei AT&T musste er gegen die Stelle des dritten Filialleiters in einer Walmart-Filiale eintauschen. Roger ist dort der Prellbock für die erzürnten Kunden. Seine Frau hat ihn, nach einer postnatalen Depression, schon vor langem verlassen, zu seinem Sohn ist der Kontakt abgebrochen. Und auch mit der neuen Freundin läuft es nicht gut – vor allem, seit sie die feministische Lehre für sich entdeckt hat.
Skinner beschreibt, wie dieser Mann, quasi per Zufall, Erlösung findet in der hetzerischen Ideologie der Maskulinisten, wie dieses Gedankengerüst ihm die Welt erklärt und alles einfach macht. Die große Stärke ihres Stücks ist dabei, dass sie den Verblendeten nicht abstempelt, dass sie zeigt, wie er auf seinen abseitigen Weg kam, ohne anzuklagen. Man versteht diesen strauchelnden Frauenhasser, ohne dass man Verständnis für die kruden Verschwörungstheorien, denen er anhängt, entwickeln müsste. Und es ist stark, wie Klaus Köhler ihn spielt. Wie er hin und her springt zwischen Schwermut, Verzweiflung, Aggression und Wut. Sehr gelungen sind auch die Szenen, in denen Roger mit seinen Gegenübern in Dialoge tritt. Auf von der Decke hängende Gazestoffe werden dann Videos projiziert, in denen die Freundin, Alan oder Roger als Walmart-Mitarbeiter auftreten – und Köhler mit diesen gefilmten Figuren interagiert.
Gegen Ende des Stücks bricht die konstruierte Welt, in der es sich Roger gerade erst eingerichtet hat, doch wieder zusammen. Endlich hat er sich aufgerafft, besucht eine Konferenz, an der sein neues Vorbild, der wütende Alan, leibhaftig auftreten wird. Im Kreis seiner neuen Brüder fühlt Roger sich wohl, verstanden und stark. Doch dann trifft er an diesem Wochenende auch wieder auf seinen Sohn Joe, der ihm davon berichtet (beichtet?), dass er sich als „gender fluid“, als nicht zugehörig zu einem klaren Geschlechtsbild, empfindet. Roger wirft das aus der Bahn, mit geladenem Gewehr steht er vor seinem Kind. Doch statt zu einem finalen Schuss kommt es wieder zu einem Tanz. Tristan El Mouktafi als Joe umgarnt, umtanzt den zum Maskulinismus Verführten, schafft aus Tüllstoffen ein Kleid, wickelt es um den Vater. Roger sitzt da. Ratlos.
„Aggro Alan“, das ist ein starkes, fesselndes, zeitgenössisches Stück Theater. Engagiert, politisch, ohne schwarzweißzeichnerisch zu sein. In Mainz kann man es in einer beeindruckenden Inszenierung entdecken.