Foto: "Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte der Oper". Jirka Zett, Gottfried Breitfuss, Milian Zerzawy, Isabelle Menke, Friederike Wagner, Hilke Altefrohne © Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
Text:Tobias Gerosa, am 21. März 2015
Der Stücktitel klingt wie ein Sonderwunschkonzert am Sonntagnachmittag oder wie eine Compilation-LP von einem Ramschtisch: „Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte der Oper“. Und leider sieht, hört und fühlt sich Alvis Hermanis‘ Produktion in der Box des Schauspielhaus Zürich auch so an.
Der einzige Farbtupfer ist Fräulein Rita, mehr Aufseherin als Pflegekraft über eine Sinfonie von abgeschabten, abgeschossenen und abgefuckten Grau- und Beigetönen. Trüb die Scheiben und Brillen, schäbig Möbel und Kleider, verstaubt Simse und Frisuren. Es ist ein tristes Altenheim, das Alvis Hermanis als sein eigener Ausstatter für sechs Insassen gebaut hat, die sich, wenn überhaupt, mit den realen Schauspielernamen ansprechen. Ein offenbar eingespieltes Team, das zwischen Gazpacho zu Mittag und dem abendlichen Medikamentencocktail Musik hört – Opernplatten, die ihnen große Gefühle zurückbringen. Das erinnert an Daniel Schmids Film „Il bacio di Tosca“, der in der Casa Verdi berürend reale ehemalige Opernsänger portraitierte. Und hier? Kunstvoll auf alt geschminkte Schauspieler (eine anerkennende Geste, die Maskenbildnerinnen zum Applaus mit auf die Bühne zu holen) spielen, sie würden tatrig Oper nachspielen.
Die sechs sind eingespieltes Team, das seine Rollen zwischen Gottfried Breitfuss‘ Bösewicht-Bariton und Jirka Zetts Tenorliebhaber längst verteilt hat. Nur ob sich nun Friederike Wagner (die Wortspiele sind programmiert), Hilke Altefrohne oder Isabel Menke sich als Tosca-Diva jetzt heute von der Engelsburg stürzen darf, muss wieder mal neu ausgehandelt werden: „Da hatten wir noch keine befriedigende Lösung.“ Vorweg: Hier auch nicht.
Bei Otto Schenks Fernseh-Parodie aus den 1980ern spickte ein Trampolin Tosca wieder auf die Engelsburg. So weit kommt’s hier nicht, aber die Frage, was hier ernst gemeint, was hier einfach Nummernrevue und was hier allenfalls ironisch gemeint sein könnte, löst sich nur zum Teil: Für Ironie gibt es keinen Hinweis – außer vielleicht, dass aus Camille Saint-Saens „Schwan“ mal ein „sterbender Schwan“ wie aus dem Eurythmie-Grundkurs wird. Über lange zwei Stunden werden Opernszenen abgespielt. Die Alten sprechen den Text mit, mehr oder weniger simultan (aber nie ganz) auf Deutsch und spielen ein paar Szenen mit ihren Mitteln nach.
Leise beginnt es mit Verdis „Traviata“, die Überleitung zu Werther („nein, das ist zu traurig für den Morgen“) deutet noch eine Art inhaltliche Linie an. Aber sie erweist sich als reichlich zufällig . Irgendwie hangelt sich Hermanis Stück aus seltsamen, manchmal lustigen Dialogen und Situationen in eine nächste Opernhandlung – frei nach Monty Python: „and now, something completely different“ – um in immer wunschkonzerttauglichen Musikausschnitten zu münden. Ein Opern „Best of“ via „Eugen Onegin“, „I Pagliacci“ und „Carmen“ überraschungsfrei zu „Tristan und Isolde“, wo zum „Liebestod“ noch kurz die Zukunft der Medizinaltechnik und Menschheit aufgesagt wird, akkurat mit Datumsangabe bis 2099.
Das Prinzip des Abends hat man rasch erkannt, die Leistung des Ensembles (zu den genannten Rita von Horvath, eigentlich Souffleuse, und Milian Zerzawy) verdient Respekt. Die ästhetisierten Operntode und die Spielsituation der auf ihren Tod wartenden, bleiben aber einfach aneinandergereiht. Die Idee, die Welten des Schauspiels und der Oper zu verbinden, bleibt oberflächlich. Hermanis kam dafür auf seinen Beschluss, nur noch in der Oper zu arbeiten, zurück. Wenn beide zur Geltung kommen sollen, darf der Umgang mit der Musik nicht so verständnislos sein, dass einfach irgendwann ausgeblendet oder abgebrochen wird, dass irgendwelche orchestralen Stellen verwendet werden, weil halt gerade etwas Text nachgesprochen wird. Und das Schauspiel kann mehr als einfach sein Als-Ob zelebrieren. Muss mehr können.