Verbundene Isolierte
Die 22 Szenen drehen sich nur teils explizit um eine ältere Frau Yamamoto, die schließlich stirbt. Ihre Nachbarn, das Paar Nino und Erik, erfahren durch die Bekanntschaft mit dieser ganz normalen, aber lebensklug gewordenen Frau, von ihrer eigenen Begrenztheit. Dazu trägt auch Eriks Nichte Milena, in der Premiere von Fritz Rudolph als Milan gespielt, durch ihre unerbittlich neugierigen Fragen bei. Andere Figuren wie zwei Anglerinnen, ein ungleiches Paar aus armem Mann und reicher Frau oder ein dichtender Kollege Ninos sind auf den ersten Blick nicht weiter mit den zentralen Gestalten verbunden. Und doch gehören sie alle zusammen. Beim Essen von Ninos (Mirco Kreibich) Fischsuppe mit Frau Yamamoto (Niola Weisse) fasst Erik (Sebastian Rudolph) ein Hauptmotiv des Stückes und das Verhältnis der Figuren untereinander treffend zusammen: „Und in dieser Suppe schwimme ich so dahin, schwimmen wir so dahin. Ich meine, nicht wir hier, wir in unserer Gesellschaft, mutlos und überfordert.“
Die Regie von Jette Steckel, der Raum von Florian Lösche, die Kostüme von Pauline Hüners, auch die kindergleich oder varieté-ähnlich verschmierten Gesichter der Figuren, die meist melancholische Musik von The Notwist helfen dem elfköpfigen Ensemble von Beginn an zu einer Gruppe von miteinander verbundenen und zugleich voneinander isolierten Gestalten zu werden – von Träumenden, Geistern und Desorientierten aus unserer Welt. Mit längs oder quer herabgelassenen farblich getönten Plastikfolien entstehen auf der ansonsten unstrukturierten Bühne Ebenen und Räume. Die verstorbene Frau Yamamoto erscheint während ihrer Trauerfeier vor den im Hintergrund abgetönten Trauernden; Nikola Weisses Präsenz ragt ohnehin, zusammen mit Sebastian Rudolph und Céleste Michaelis als Kind im Schwimmbad, aus dem guten Ensemble heraus.
Große Themen über die Figuren erzählt
Ohne aufgesetztes Tempo, mit einer gleichsam schweizerischen Ruhe und Entspanntheit entwerfen die Darstellerinnen und Darsteller kleine, aber tief wurzelnde Figurenbilder. In der ersten und als Epilog fast wortgleich wiederholten Szene stellt der Nachbar Nino gegenüber einer fehlgeleiteten Frau auf der Suche nach einer Wohungsbesichtigung (Judith Hofmann) fest, dass Frau Yamamoto durchaus noch da sei, selbst als sie im Epilog schon gestorben ist. „Frau Yamamoto ist noch da“, diese Antwort Ninos an die Frau, bezeichnet nicht nur den Titel des Stücks, sondern auch das zentrale Motiv von menschlicher Anteilnahme am anderen.
Die besondere Qualität dieses „Theaterstücks“, das auch als Komödie gelten darf, besteht darin, wie Loher die großen (Theater-)Themen der Zeit behandelt – zerrissene Gesellschaft mit Unfähigkeit zum Gespräch, Gier und Angst, Naturzerstörung, neue Technologien und Einsamkeit – und doch nicht zu Hauptdarstellern macht und somit nur das politisch Allzuoffensichtliche predigt. Vielmehr skizziert sie leibhaftig wirkende Menschen, die von all diesen Problemen umgetrieben werden. Die Souveränität der Frau Yamamoto hier zu leben ist dabei die frohe Botschaft des Stücks. Aus der Schmiererei „Ihr Schwein“ an Ninos Restaurant macht er, im Geiste der Verstorbenen: „Ihr Glücksschweine“. Und Jette Steckel erweist sich als glückhafte Uraufführungsregisseurin von Dea Lohers Stück.