Dort hat Jan Müller, der auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, einen hohen Guckkasten aufgebaut, rechts und links liegen Requisiten bereit, Kaffeehaustische und -stühle laden scheinbar zum Verweilen. Doch damit wird es nichts, dazu hat seine Inszenierung zu viel Drive. Und sie beginnt nicht mit Fassbinder, sondern mit dem Bürgerchor Thespis: Der robbt herein, stellt die schweren Fragen „Wer sind wir?“ und „Wo kommen wir her?“ Das mag noch als Teil des Entstehungsprozesses durchgehen, ehe es dann mit Fassbinder weitergeht.
Und das ist so dicht wie anrührend, auch weil die neue Puppenbauerin in Bautzen, die vom Film kommende Beatrice Baumann, eine faszinierende Figurenvielfalt einbringt. Da sind eben die zierlichen Hauptakteure, geführt von Marie-Luise Müller und Moritz Trauzettel. Emmis Kinder kommen ganz anders und drastisch daher: Die haben sich die Spieler um den Hals gehängt und zeigen ihre eigenen Gesichter für diese Rollen. Ebenso die Klischeeraucher: Zwei lautstarke Frauen, die gegen Ausländer, „dreckige Schweine“ und alles Mögliche hetzen: Da machen Menschen sich zu Puppen. Einmal hält die Spielerin einer zeternden, weißhaarigen Puppendame den Bühnenrahmen vor. Und schließlich treten zwei wunderbar-rätselhafte Figuren auf: Die Spieler tragen übergroße, weiße Köpfe, von Beatrice Baumann gefertigte Kaukautzky-Puppen aus zartem Material, das mit Wärme angepaßt wird. Sie sind noch einmal Emmi und Ali, aber ganz anders.
Und Fassbinders Stück trägt. Emmi lernt, sich durchzusetzen, auch gegen ihre Kinder. Ali lernt Deutsch, wird aber, vor allem vom feisten Lebensmittelhändler, bewusst missverstanden oder bekommt Antworten in noch schlechterem Deutsch. Zwischendurch taucht, unter einem alten Baum, ein Philemon-und-Baucis-Motiv auf, das sich am Ende wiederholt, als schon klar ist, dass es sich für Emmi und Ali nicht erfüllen wird. Das alles stimmt und berührt.
Doch dann kommt das große Aber. Das betrifft Jan Müllers Ansatz einer „sozialdramatischen Show“ ebenso wie die Beteiligung des Bürgerchors, der auch an der Stückentwicklung mitgewirkt hat. Dass man in einer rechtsbedrohten Stadt wie Bautzen anders an das Thema Fremdenfeindlichkeit herangehen muss und soll, ist verständlich. Aber so? Da wird eine Linie zwischen Fremdenhass und Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche gezogen, von da zu ukrainischen Prostituierten auf dem tschechischen Kinderstrich, weiter zu ausländischen Männern, die lernen sollen, wie man mit deutschen Frauen umgeht, damit sie „gute deutsche Puffgänger“ werden. Da sträubt sich schon alles. Ebenso bei einer „Demo“ gegen eine Antifa-Demo, allen voran ein Pickelhaubenpolizist. Vor der Pause schließlich wird dem Publikum ein Song vorgetragen, der „Widersteh’ dem Widerstand, genau wie unser Land“ lautet. Das mögen die Macher als Zustandsbeschreibung sehen, ist aber untauglich, ebenso wie die vorherigen Parallelen unverantwortlich. Und so endet eine nachdenklich stimmende Premiere mit sehr vielen offenen Fragen. Leider.