Foto: Arlette Meißner und Bernd Valentin in "Halka" am Pfalztheater Kaiserslautern © Hans-Jürgen Brehm-Seufert
Text:Frank Pommer, am 21. Mai 2015
Als am 8. September 1945 im völlig zerstörten Wroclaw (Breslau) das Opernhaus nach den Kriegswirren wiedereröffnet wurde, stand Stanislaws Moniuszkos „Halka“ auf dem Programm, ein Werk, das nicht nur deshalb als polnische Nationaloper gilt. Das Pfalztheater in Kaiserslautern hat nun diese in einer ersten, zweiaktigen Fassung 1848 uraufgeführte Oper in einer Inszenierung von Michael Sturm präsentiert. Es setzt damit seine Entdeckungsreise in dieser Spielzeit fort, die mit „Friedenstag“ von Richard Strauss und Franz Schrekers „Irrelohe“ begonnen hat. Die dritte Spielplanüberraschung fiel nun im Vergleich dazu bei der Premiere szenisch wie sängerisch und musikalisch dagegen etwas ab.
Im Zentrum der Oper wird die traurige Geschichte des Bauernmädchens Halka erzählt. Diese liebt den Adligen Janusz und erwartet auch ein Kind von ihm. Doch zu Beginn der Oper sehen wir, wie Janusz standesgemäß Verlobung mit Zofia feiert. Halka, begleitet und beschützt von dem sie heimlich liebenden Jontek, platzt in die Feier, wird von Janusz vertröstet und muss schließlich einsehen, dass sie um ihre Liebe betrogen wurde. Sie plant zunächst einen Brandanschlag auf die Hochzeitgesellschaft in der Kirche, wählt dann aber doch den Weg in die Verzweiflung, indem sie sich das Leben nimmt: ein geschundenes, betrogenes unschuldiges Opfer, das eine grausame Gesellschaft in den Tod getrieben hat.
Wenn es nur die eine Nationaloper gibt, dann ist dies immer auch ein Hinweis darauf, dass das Musiktheaterrepertoire im überschaubaren Umfang bleibt und sich zudem auch aus einer Position des Zuspätgekommenen heraus entwickelt hat. Dies gilt auch für „Halka“, deren vieraktige Endfassung 1858 uraufgeführt wurde. Moniuszko hat eine Oper komponiert, die auf der Höhe der Zeit der Frühromantik ist, die von Lortzing und Weber ebenso beeinflusst sein könnte wie von Rossini und Donizetti. Sie wechselt zwischen dem süffigem Melos der deutschen Romantik und dem glanzvollen Belcanto der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts.
Wer jedoch Moniuszko ein Zuspätkommen vorwirft, wiederholt quasi begangenes Unrecht am polnischen Volk. Denn diese Oper ist für unsere deutschen Bühnen tatsächliche eine lohnenswerte Entdeckung und dramaturgisch wie vor allem musikalisch großartig funktionierendes Musiktheater. Denn Moniuszko hat ja keineswegs nur von den deutschen und italienischen Vorbildern gelernt, sondern er hat mindestens ebenso viel unverstellte, sich aus der polnisch-slawischen (Volks-)Musiktradition speisende Originalität einfließen lassen.
Daraus leitet sich eine Art Anforderungsprofil an die musikalische und stimmliche Umsetzung ab – dem die Kaiserslauterer Produktion nicht wirklich gerecht wird. Wenn in Zuschauer-Reihe Drei Sänger nur als Pantomime-Darsteller wahrnehmbar sind, dann sollte sich der Dirigent schon mal hinterfragen. Es kann an den Sängern selbst liegen. Wenn es aber schon in der Ouvertüre eher etwas unsensibel vor ich hinscheppert und lärmt im Graben, dann liegt es vielleicht doch auch am Orchester und dessen Dirigenten, dem zweiten Kapellmeister des Pfalztheaters, Rodrigo Tomillo. Er nimmt, salopp gesagt, die Partitur mit ordentlich Schwung und Schmackes, bügelt dabei aber auch so manches Detail glatt. Das Hauptproblem vor der Pause bleiben die Ensembleszenen, in denen man zwar einen stimmlich wie tänzerisch großartig aufgelegten Chor erleben kann, die Einsätze der Solisten aber schlichtweg nicht wahrnehmbar sind, das sie in dem gewaltigen Furor des Orchesters untergehen.
Neben dem Chor gehören sicherlich Arlette Meißner in der Titelpartie und der phantastische Alexander Geller als Jontek zu den stimmlichen Gewinnern des Abends. Arlette Meißner kennt man in Kaiserslautern als Soubrette, als Ännchen im „Freischütz“ etwa. Es ist nun faszinierend zu beobachten, wie sich diese Stimme weiterentwickelt hat. Jennifer Feinstein als Sophie bleibt ebenso solide wie Bernd Valentin in der Rolle des Janusz, der allerdings auch ein einige intonatorische Probleme hat und dessen Stimme in der Höhe flach und kehlig klingt. Grenzwertig bis, pardon, indiskutabel dagegen die Leistung von Daniel Böhm als Dziemba und Alexis Wagner als Stolnik. Letzterem versagt in der Tiefe mitunter die Stimme komplett. Da ist dann rein gar nichts mehr zu hören. Und Daniel Böhm hat jenen bereits geschilderten nicht hörbaren ersten Auftritt. Es ist leider nicht sein einziger…
Die Regie von Michael Sturm vermag sich nicht so wirklich zu entscheiden, ob sie sich auf die Geschichte von der verführten Unschuld oder aber auf den politisch-historischen Hintergrund konzentrieren soll. Die Kostüme von Stefan Rieckhoff, der auch für die Bühne zuständig ist, verweisen ins 20. Jahrhundert. Janusz und Dziemba tragen Uniformen, die durchaus an die deutschen Besatzer während des Zweiten Weltkriegs erinnern. Die Bauern um Halka und Jontek sind in einer Massenunterkunft untergebracht, die aussieht wie ein Internierungslager der Nazis.
Doch dieser Gedanke wird nicht weiter verfolgt. Das wäre dann vielleicht auch doch zu platt. Es gibt in Sturms Regie zwar so etwas wie ein leises Aufbegehren der Unterdrückten, aber am Ende bringen doch wieder nur die Bauern das Opfer. Die wilde Bergwelt der Goralen im polnisch-slowakischen Grenzgebiet, denen auch Halka entstammt, ist als Ölgemälde im prachtvollen Salon des Adels präsent – und als ferne Sehnsucht im Leben Halkas und der anderen Leibeigenen. Diese Natur steht für Freiheit, vielleicht sogar für Glück. Für ein Glück, das in einer Gesellschaft nicht möglich ist, die aussieht wie jene, die Moniuszko in seiner Oper schildert: Hier die Reichen und Schönen, dort die Armen und Entstellten, Entrechteten. Die Liebe könnte diese Grenzen überwinden, diese Ketten sprengen. Doch mit Halka stirbt die Liebe – auch für den vermeintlichen Übeltäter Janusz, der sich im Schlussbild die Pistole an den Kopf hält …