Text:Florian Welle, am 1. Februar 2020
Philipp Löhle kam in der vergangenen Spielzeit gemeinsam mit Schauspieldirektor Jan Philipp Gloger ans Nürnberger Staatstheater und ist seitdem dort als Hausautor tätig. Eines der ersten Stücke, das die beiden an ihrer neuen Wirkungsstätte zeigten, war die Übernahme von Löhles Globalisierungskomödie „Das Ding“, die Gloger 2011 am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt hatte. Anhand der Reise einer Baumwollflocke von Afrika über China bis nach Deutschland werden ebenso komisch wie böse die Mechanismen der Globalisierung beleuchtet. Als Kurator der Reihe IMPORT/EXPORT legte Löhle zusammen mit der Chefdramaturgin Brigitte Ostermann etwas später noch mal nach und lud Schauspieler aus Guinea, Kamerun und der Elfenbeinküste nach Nürnberg ein, um auf „Das Ding“ aus afrikanischer Sicht zu reagieren. Herausgekommen ist der schonungslose Szenenreigen „Das Dong“.
Mit seinem jüngsten Stück „Andi Europäer“, das am Wochenende in der kleineren Nürnberger Spielstätte Kammerspiele in der routinierten Regie von Tina Lanik uraufgeführt wurde, spinnt Löhle nun auf seine ureigene Weise die Auseinandersetzung mit Afrika fort. Er lässt die klassische Eskalationskomödie auf politische Themen prallen und scheut dabei auch kein Wortspiel, lässt seine Protagonisten sich schon mal im Wortsalat zwischen Ungarn und ungern verheddern. Löhle nutzt den Konnex Afrika und Geflüchtete, um vor der eigenen Haustür zu kehren. Sprich: eine Innenschau deutscher Befindlichkeiten der Gegenwart zu liefern vom Ossi-Wessi-Gegensatz über Gendergerechtigkeit bis zu mittlerweile wieder unverhohlen geäußertem (Alltags-)Rassismus. Ausgangspunkt für „Andi Europäer“ war ein Zeitungsartikel über Veranstaltungen des Auswärtigen Amtes, in denen vor der Flucht nach Europa mit Geschichten von Vergewaltigungen, Ausbeutung und kenternden Schiffen gewarnt wird. Löhle hat dieses Setting aufgegriffen und ins Absurde gesteigert. Denn das weiß schon der Andi im Stück: „Erstes Semester Kommunikationswissenschaft: Man kann nicht gegen etwas werben. Man kann nur für etwas werben.“ Nun also soll allein der Durchschnittsdeutsche – übergewichtig, übelgelaunt und übereifrig – Afrikaner von der Flucht abhalten. Das Spiel mit Klischees, Vorurteilen und Stereotypen ist in die Komödie, die danach fragt, was uns Deutsche, was Deutschsein eigentlich ausmacht, eingepreist. Doch bekanntlich steckt in ihnen stets ein Funken Wahrheit und so ist „Andi Europäer“ ein ums andere Mal entlarvend.
Heike Landsberg nennt sich bei Löhle die Moderatorin der Vorträge. Früher hat sie „etwas mit Kindern“ gemacht, nun tourt sie im Auftrag des Auswärtigen Amtes durch Afrika und macht den Afrikanern unter dem Motto „Germany – Why not!“ Deutschland mies. Dabei legt sie eine ranschmeißerische Penetranz und Zackigkeit an den Tag, die Stephanie Leue als Heike mit großer Lust und viel Bewegungsdrang ausspielt. Ihren Zuhörern – also uns, die wir hier für die stummen Afrikaner stehen – führt sie, ganz in vermeintlich unschuldiges Weiß gekleidet, der Reihe nach vier Deutsche vor. Jeder von ihnen verkörpert einen gewissen Prototyp. Da ist zunächst der 33jährige Andi aus Freiburg, der nun in Berlin in der Werbebranche tätig ist. Andi ist bekennender Single und zieht schon mal gerne Frauenkleider an. Nicolas Frederick Djuren trägt Badelatschen und ein T-Shirt mit der ziemlich blöden Aufschrift „Sorry, I’m fresh“. Dabei wirkt seine ganze Mimik überhaupt nicht fresh, sondern bereits ziemlich ermattet. Als Gegenparts zum abgehalfterten Hipster Andi präsentiert Heike zum einen Frauke Hillig – Typ ostdeutsche Wendeverliererin und dreifache Mutter kurz vor der Rente –, der Annette Büschelberger in Leopardenhose eine hübsche kaugummikauende Abgeranztheit verleiht. Und den rheinländischen Beamten Ansgar Bickel, den man nach Unterfranken strafversetzt hat.
Ansgar ist ein pedantischer Choleriker par excellence, der Regieanweisung nach „übergewichtig“; gespielt wird er von Raphael Rubino, der im Verlauf der gut zweistündigen Aufführung ohne Pause nicht nur im übertragenen Sinne die spießigen Wanderhosen runterlässt und sich als laut polternder Rassist und Frauenfeind entpuppt. Der Witz dieser deutschen Freak-Show, aus der nur der auffällig gut gelaunte Tony (ebenso gespielt von Amadeus Köhli) herausfällt – warum, dies soll hier nicht verraten werden –, hat Löhle im Programmheft auf den Punkt gebracht: „Je mehr die Figuren sich dagegen wehren, ein (deutsches) Negativbeispiel zu sein, umso mehr werden sie genau das. Die demontieren sich einfach selbst.“
„Andi Europäer“ – den Titel kann man auch als „An die Europäer“ lesen – wartet mit viel Dialogpingpong auf, ist als gut gebaute Schnellschusskomödie konzipiert. Überreich an Themen, die ebenso schnell angerissen wie sie wieder fallengelassen werden und nur ganz selten über Stammtischniveau hinauskommen. Das Problem ist dann eben nur: Man fühlt sich als Zuschauer zwar gut unterhalten, möglicherweise auch einmal ertappt, wozu lange Zeit die gekonnte Personenregie von Tina Lanik das Ihre beiträgt, bis sie schließlich in einer Kakophonie von Beschimpfungen mündet. Aber auf Dauer ist man auch etwas unterfordert. Ja, wäre da nicht Löhles böser Einfall, das Stück im Untertitel als „Völkerschau“ zu titulieren. Völkerschauen, das waren bis ins 20. Jahrhundert hinein von den Kolonialmächten organisierte Ausstellungen exotischer und nicht selten ausgebeuteter, unterworfener Völker. Europa wollte damit seine angebliche Überlegenheit demonstrieren. Rassismus pur! Löhle hat es umgedreht. Hier werden nun die Deutschen auf diese Weise präsentiert. Tina Lanik und ihr Bühnenbildner Patrick Bannwart stellen die vier Musterexemplare in rollbare Plexiglaskästen, aus denen sie ab und an herausstolpern dürfen. Ganz so, als wären der Andi, die Frauke, der Ansgar und der Tony Zootiere, die man in ihrem Gehege anstarren und begaffen kann.