Foto: "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" am Stadttheater Fürth © Thomas Langer/Stadttheater Fürth
Text:Dieter Stoll, am 12. April 2015
Wer eine generationsübergreifende Begegnung mit Heidi Klums Ahnfrau erwartet hatte, musste in Barish Karademirs ansonsten durchaus gegenwartskoketter inszenatorischer Aufrüstung des Melodrams „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ von Rainer Werner Fassbinder ein wenig umdenken. Die eisige Modedesignerin, die das Kapitel „Männer“ bereits hinter geschlossenem Vorhang abhakte (der Zuschauer kann sich schon mal ausgiebig in die Projektion der Aufführungs-Präambel „Der, der weniger liebt, hat mehr Macht“ vertiefen), ist auf der Bühne des Fürther Theaters ein allzu offensichtlicher Prototyp disziplinierter Mannequin-Verrenkung. Quotentauglich wäre sie wohl nicht.
Zunächst sind in der Szene sowieso alle Figuren nur Puppen, von Brautschleiern verhüllte Bodyperfektion in Plastik oder Menschenfleisch. Petra von Kant durchschreitet als Chefin der weiblichen Brigade wie ein Schnittmuster-Geschöpf mit imaginärem Laufsteg-Anschluss den Karrierekampf: Jede Spreizung ein Modellfall auf Stöckeln, alles untergeordnet der alleinseligmachenden Choreographie eleganter Selbstkasteiung. Der 1971 grade in den Trend-Stress geratene Rainer Werner Fassbinder, der den Text des Fünf-Frauen-Stücks fast parallel zum Nürnberger Dürerjahr-Auftragswerk „Blut am Hals der Katze“ entwickelte, nahm das Luxus-Atelier eher als Rahmen für sein Sittengemälde von Machtanspruch und Liebesleid. Hatte er doch mit seiner betont lapidaren Schilderung einer lesbischen Affäre die emanzipatorische Provokation im Dramaturgen-Handgepäck.
80 internationale Inszenierungen später kann das deutsche Gegenwartstheater diesen Sprengsatz nur noch als Gefühls-Feuerwerk einsetzen. Der ursprünglich vom Ballett über die freie Szene Nürnbergs als Groß-Talent ins Fürther Stadttheater gekommene Regisseur Barish Karademir, der beim Fassbinder-Nachlass ausdrücklich mehr der Dehnbarkeit der Dramen als der Verklärung der Filme traut, pflegt hingebungsvoll den erweiterten Blick. Er lässt von Ausstatterin Christiane Becker eine doppelstöckige Galerie in den Hintergrund bauen, wo das neongrell illuminierte Leben in Posen gefriert, und rollt eine Groß-Vitrine als Mischung aus Schicksals-Schaufenster und Konflikt-Brutkasten ins Zentrum. In diesem gläsernen Container wird Intimität portionsweise ausgestellt. Zur Künstlichkeit der schleifenden Dialoge, wie man sie aus Fassbinder-Filmen kennt, karikiert er blasierte Model-Haltung, nutzt den Kurzschluss von Sprache und Körpersprache für flackernde Tanztheater-Zwischenspiele. Bei der Explosion der Emotionen, wenn das Liebespaar (Ulrike Fischer in der Titelrolle und Kim Bormann als widerspenstige Partnerin Karin bleiben quer durch alle Krisen perfekt im Styling) das Unheil zelebriert, wird auf Melodram-Attacke umgeschaltet. Die Atelier-Domina, umgeben von barfüßiger Sklavin (Karin Yoko Jochum bekommt den eindringlichsten Regie-Einfall, wenn sie sich sehnsuchtsvoll in viel zu großen Tanzschuhen bei der Haus-Party einschleicht) und schriller Rest-Familie (Oma, Kind und Freundin wie aus der Retorte), schluchzt nach verlorenem Zickenkrieg schnurstracks ins Selbstmitleid.
Der einfallsreiche, Szene für Szene „interessant“ taumelnd zwischen Interpretation und Illustration inszenierende Karademir traut und mutet dem Fassbinder-Stück viel zu. Er führt es als Tanz ein, zitiert beispielhaft den Original-Tonfall (samt unbestreitbar ewigen Weisheiten wie „In Deutschland sind die Dinge wie sie eben sind“) und sucht weiter nach einem eigenen, fährt es als Pop-Oper hoch und als Videoclip runter, schwingt vom Kammerspiel ins Gesamtkunstwerk. Er will alles. Selbstverständlich auch den Zeitgeist von heute. Die diskrete Aktualisierung steckt im Detail bei Mails und Laptops, entgleist aber in Werktreue 1971, wenn plötzlich allen Ernstes vor dem Preis eines „teuren Hotels für 27 mit Frühstück“ gewarnt wird. Das kann man als Test für die Aufmerksamkeit des Zuschauers nehmen, der mit der Montage der Eindrücke über Zusammenhänge von Liebe und Macht nach widerstreitenden Erkenntnissen der Küchenpsychologen Fassbinder und Karademir zum eigenen Gesamtbild gut beschäftigt ist. Sie haben wohl beide ihre Visionen geliebt – mit aller Macht.