Foto: Nicht zu lösender Knoten: "LOve DistaNt" mit Marco Arena und Vivian Koohnavard © Yan Revazov
Text:Hartmut Regitz, am 4. September 2020
Das Lachen ist ihnen längst vergangen. Egal, ob Marian Walter, der den Anfang macht, oder Pablo Martínez am Schluss: Der Ernst der Lage ist den Tänzern und Tänzerinnen ins Gesicht geschrieben. Demonstrativ zeigt der Einlassfilm das Staatsballett als ein Ganzes. Ein Körper erwächst aus dem anderen, und ohne dass die Botschaft etwas Plakatives hat, signalisiert das Morphing eine Gemeinsamkeit, die sich an diesem Abend immer wieder auf schmerzhafte Weise vereinzelt: Auf der Bühne hält sich die Besetzung im vorgegebenen Rahmen. Und im Parkett lassen sich die Lücken beim besten Willen nicht übersehen. Gerade mal ein halbes Dutzend Zuschauer füllt, stets auf Abstand bedacht, jeweils eine Reihe. Kein Wunder, wenn der Beifall, aller physischen Anstrengung zum Trotz, am Ende eher kärglich klingt.
„Lab_Works Covid_19“ nennt sich nicht unbedingt publikumsfreundlich das Programm, das „die künstlerische Auseinandersetzung mit der elementaren Erfahrung der Isolation zur Zeit des Lockdowns durch die Mittel des Tanzes“ artikuliert. Anders gesagt: Es zeigt, wie acht Ensemblemitglieder (plus Andreas Heise als Gast) choreografisch zusammenfinden, ohne sich in jedem Fall gleich zu berühren. Das kann skulptural geschehen wie gleich zu Beginn in „Waves of Flesh“ von Dana Pajarillaga und Lukas Malkowski, die einer permanenten Umarmung immer wieder neue Perspektiven abringen. Das kann Gefilmtes einbeziehen wie im Beitrag „I’m Here Now“ von Tara und Pippa Samaya, die dem Draußen und Drinnen eine bildnerische, ja schier surreale Bedeutung geben.
Auf sich allein gestellt, kommt Ross Martinson in „The Zero“ nicht mit sich klar; sein Frage- und Antwortspiel führt ihn auch choreografisch in die Irre. Etwas zu eindimensional geraten ist das Duo „LOve distaNT“ von Vivian Assal Koohnavard, die sich zwar in Marco Arena bespiegelt, nicht aber den Knoten löst, den sie anfangs selber knüpft. Nicht wirklich einsichtig ist auch „91_Divoc“ von Olaf Kollmannsperger, der Dana Pajarillaga und Weronika Frodyma um sich kreisen lässt, ohne dass die projizierte Gefahrenquelle das tänzerische Ambiente wirklich verändert.
Spannend wird es anschließend in „Control SHIFT“ insofern, als sich Alexander Abdukarimov in seinem interaktiven Stück einem choreografischen Akt zunächst gänzlich verweigert. Lange Zeit verharrt Nikolay Korypaev regungslos auf der eingedunkelten Bühne, während auf einer Leinwand das Wörtchen „Who“ wiederholt das Weite sucht. Erst mit dem Auftritt von Eloïse Sacilotto verändert sich das projizierte Bild, und Ton und Tanz finden dort solange zu einem Dialog, bis ihm ein „Am I“ ein Ende setzt. Ein Schelm, der da nicht an „The Second Detail“ von William Forsythe denkt.
Nicht nur musikalisch fällt das Solo „Du bist die Ruh’“ aus der Reihe. Andreas Heise, zuletzt mit einer getanzten „Winterreise“ für Juliane Banse und István Simon erfolgreich, nimmt Schuberts Lied als Ausgangspunkt einer Arbeit, die auf alles Äußerliche verzichtet. Hochkonzentriert tanzt Yolanda Correa ihr Solo, und ohne viel Aufhebens davon zu machen, wird ihre Vereinsamung in wenigen, darum aber umso bewegenderen Gesten deutlich. In manchen Momenten erinnert der starke Auftritt an den Modern Dance einer Martha Graham, auch wenn Heise eine andere Bewegungssprache wählt.
Qualitativ vergleichbar ist nur noch „C-020“ von Arshak Ghalumyan, der sich mit Sarah-Jane Brodbeck und Vahe Martirosyan ein Paar zur Seite stellt, um so seine Außenseiterrolle sichtbar zu machen. Und gänzlich anders „Parliament“, das einzige Kollektivstück des Abends. Johnny McMillan hat es choreografiert, unter Einhaltung aller „Verhaltensregeln“, wie es so schön auf dem Programmzettel heißt. Wie festgewurzelt agieren sie, den nackten Rücken dem Publikum zugewandt, ohne dass ihre Bewegtheit jemals darunter leidet. Ähnliche Exerzitien kennt man allenfalls aus den Berliner Arbeiten von Sharon Eyal, in denen McMillan immer in vorderster Front zu sehen war. Und doch ist manches anders. Nicht zuletzt das verschämte Verdrehen seiner Tänzer und Tänzerinnen, die sich beim Schlussapplaus partout keine Blöße geben wollen. Und auf einmal ist ein zögerndes Lächeln da, das einem für die Zukunft Hoffnung macht.