Lucie Emons in „In den Gärten oder Lysistrata Teil 2“

Zerstörerischer Genderkampf

Sibylle Berg: In den Gärten oder Lysistrata Teil 2

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:09.05.2021 (DE)Regie:Nele Lindemann, Fabian Groß

Voll sinnlicher Verlockungen scheint diese Welt, das signalisiert ein übergroßer Kussmund auf der Bühne, durch den die andere Lysistrata spricht. Überdimensional, vervielfacht in der Bildregie von Julia Patey, die den theatralen Blick filmisch verfremdet. Denn diese Inszenierung verbindet Theater, Film und Erzählung, denkt das epische Theater Bertolt Brechts weiter. Auch bei dem griechischen Dramatiker Aristophanes macht die scharfzüngige Autorin Sibylle Berg Anleihen – nur wollen dieses Mal nicht die Frauen durch einen Sexstreik Frieden erzwingen, sondern die Männer sich durch sexuelle Enthaltsamkeit für das Gefühl von Unterlegenheit rächen.

Denn die Emanzipation der Frauen hat den Männern von damals ganz schön zu schaffen gemacht, so viel wird bei dieser nostalgischen Post-Hippie-Retrospektive sehr schnell klar. Und die Männer haben sich mit ihrem Rückzug und ihrer Verweigerung selbst überflüssig gemacht und letztlich auch abgeschafft, während die Frauen sich im Gegenzug an ihrer Emanzipation übernommen haben. So weit so gut. Doch so einfach lässt sich Bergs doppelbödiges Theaterwerk nicht auf den Punkt bringen und schon gar nicht in eine Schublade stecken.

Anzeige

Formal folgt die Anlage von „In den Gärten oder Lysistrata Teil 2“ dem Schema eines Stationendramas. In der Inszenierung von Nele Lindemann, Fabian Groß und der Einheitsbühne von Dominique Wiesbauer durchlaufen die drei Bernds – Jannek Petri, Leander Senghas und André Wagner – verschiedene Stadien der Ko-Existenz mit der Über-Frau Lysistrata (Lucie Emons). Denn eine Partnerschaft ist das schon lange nicht mehr. Zumal Frau sich ja auch nicht entscheiden kann, welcher Typ sie nun eher anspricht. Auf allen Seiten wächst die Desillusionierung, Selbstreflexion und Dialoge wechseln sich ab mit der Erzählung der Sprecherin aus der Filmprojektion, die die einzelnen Etappen des Dramas vorstellt. Das ist ebenso eine Anspielung an den Chor der griechischen Tragödie wie die Aufteilung von „Bernd“ auf ein „Männertrio“.

„Herzlich willkommen in den Gärten der Vergangenheit, in denen wir unseren Ursprung besichtigen“, so lautet die Einladung zu diesem Museumsbesuch. Der Vorspielgarten mit seinen Nackedeis zitiert zwinkernd eine Mischung aus Paradies und Strandkultur, Lysistrata beschreibt den Vermehrungsauftrag der Frauen; die „privilegierte toxische Männlichkeit“ stellt sich selbstgefällig im Liebesgarten zur Schau. Das gemeinsame Feindbild ist „die Frau, die kraft ihrer beruflichen Überlegenheit meine Ehre verletzt“. Rockiger Disco-Sound und Lichteffekte charakterisieren den Präsexgarten, in dem zwei Bernds dem dritten die langen Haare scheren. Und im Missionarsgarten werden die Zuschauer Zeuge, wie sowohl Lysistrata als auch den Bernds die Lust vergeht. Der Erwachsenengarten bespiegelt dann vor dem Hintergrund bisher gängiger Klischees, wie die Frau zunehmend in die Rolle des Mannes drängt. Dass das Baby als Rettung der Beziehung nicht funktioniert, wird dann im Kindergarten klar. Die Männer werden zu Hausmännern und ihrer Existenz sehr bald überdrüssig. „Wir haben die Welt gebaut, wir haben die Welt ruiniert.“ Und fassen den Entschluss: „Lasst uns keinen Sex mehr haben mit Menschen, die uns verachten.“ Das ist der Anfang vom Ende. Denn im Friedgarten sind die Männer ausgestorben, die Frauen pflanzen sich mit technologischer Hilfe fort – in ihrem jetzt ach so perfekten Leben, in dem sie sich in Selbstbespiegelung verlieren. Und machen sich Gedanken über die Welt, die sie retten – wozu? „Wenn keiner mehr da ist, der schuld sein könnte – außer uns?“

Das zunächst augenzwinkernde Spiel mit Gendertypen wird unmerklich zu einer Vision, Apokalypse und Science Fiction zugleich. Genderkampf mündet in Selbstzerstörung.

Die Prozesse und Befindlichkeiten auf dem Weg dahin loten die vier ungemein spielfreudigen Darsteller voller Elan aus in dieser packenden, rundum stimmigen Inszenierung, die nicht eine Sekunde der knapp anderthalb Stunden an Spannung verliert. Sibylle Bergs Text ist genau am Puls der Zeit und diagnostiziert unsere Zivilisationskrankheiten.

Die Deutsche Erstaufführung fand als Online-Premiere im Rahmen der Europäischen Kulturtage 2021 statt.