Foto: Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? Anne Müller und Götz Schubert in einer Szene aus der "Ballade vom Fliegenden Holländer" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. © David Baltzer
Text:Roberto Becker, am 10. Februar 2014
Was haben die Seefahrerfrauen in der Spinnstube von Frau Mary auf den Bühnen nicht schon alles gemach?! Dass sie diesmal Käse produzieren, darf man getrost im übertragenen Sinne verstehen. Und als Verweis auf Holland bzw. den sagenhaften Fliegenden Holländer. Denn der mit Vorliebe zwischen der Opern- und Schauspielbühne wechselnde und auch gerne in den Räumen dazwischen experimentierende Regisseur Sebastian Baumgarten spürt in seiner „Ballade vom Fliegenden Holländer“ den Wurzeln der Holländer-Sage bis zu den Buren in Südafrika nach. Dort verortet er ihren Ursprung. Als eine Art mythischen Reflex, den die einstige reale Überlegenheit der Holländer am Kap der Guten Hoffnung gegenüber der englischen Konkurrenz hervorrief und weitertrug. Bis zu Richard Wagners Geniestreich. Baumgarten, Joep von Lieshout (Bühne), Jana Findeklee, Joki Tewes (Kostüme) und Stefan Bischhoff (Video) projizieren diesen Blick in die Vergangenheit in eine imaginäre Zukunft des Jahres 2073. Dabei bleibt die vor allem durch Wagner geläufige Geschichte bei all der Verfremdung und Öffnung ins Reich der Assoziationen und hinterfragenden Diskurse stets erkennbar. Auch da hat ein autoritärer Vater das Sagen, führt Frau Mary das Regiment über die Frauen, will Senta mit aller Macht ausbrechen und ergreift die Chance, die der nihilistische Holländer ihr dazu bietet.
Bei Baumgarten ist Daland (Aljoscha Stadelmann) der rauschebärtige Anführer eines sektenartigen „Volksstaates“, bei dem der gottesfürchtige und materiell schlichte Lebenswandel ebenso hoch im Kurs stehen wie die Reinheit der weißen Rasse. Jedenfalls wirken die uniformierten Jungs, die er für seine Burenkolonie (neben einer Burka für die Tochter) mitbringt, auffällig blond und blauäugig. Es ist folgerichtig, dass die Ausbruchskandidatin Senta (Anne Müller), die zwar nicht die ganze Menschheit, aber doch sich und ihren Holländer „erlösen“ will, mit brutaler Sekten-Gewalt auf Linie gebracht wird. Der Elektroschocker aus dem Viehstall jedenfalls wirkt so stark, dass sie am Ende im Rollstuhl sitzt und rein gar nichts mehr sagen kann. Auch Erik (Paul Herwig) geistert wie ein Nachwuchsprophet herum. Der kann freilich weder mit alter Magie noch neuester Philosophie bei Senta (und auch sonst) wirklich landen. Und der Holländer (mit dem der wandlungsfähige Götz Schubert seine herausragende Stellung im neu zusammengestellten Ensemble unterstreicht) fasziniert als Wiedergänger Mephistos mit Nosferatus berühmten Schattenspielen ebenso perfekt wie mit der Gangart von Spiderman.
Den Eisernen Vorhang, der im Schauspielhaus verrückt gespielt hatte, den braucht Baumgarten für dieses Theaterprojekt-Pendant zu seiner Bremer Inszenierung von Wagners Holländer gar nicht. Der Architekt seiner umstrittenen Bayreuther Tannhäuser-Biogasanlage hat ihm diesmal eine so simple wie spielpraktische Kiste auf die Drehbühne gesetzt, bei der am Ende der herunter geklappte Deckel für ein finales „Klappe zu, Affe tot“ mit einer Winde und vereinten Kräften nach oben gezogen wird. So ganz tot sind sie aber doch nicht, denn man sieht Senta und den Holländer als Videoprojektion in den blutrot gefärbten Himmel entschwinden. Damit greift er dann doch das Erlösungsmotiv von Richard Wagners Musik und dessen finale Szenenanweisung auf. Allerdings als bittere Pointe eines herausfordernden Einhundertminuten-Theaterabends, zu dessen Wirkung die spannungsgeladen „mitspielende“ Bühnenmusik von Hauschka einen erheblichen Teil beitrug.