Foto: Szene aus Giacomo Meyerbeers "L’Africaine“ in Würzburg. © Falk von Traubenberg
Text:Dieter Stoll, am 26. September 2011
Man war ja schon deutlich weiter mit der Meyerbeer-Renaissance in Deutschland, damals, als John Dew von Bielefeld aus die Hauptwerke des Affekt-Artisten bis hin zu den Berliner „Hugenotten“ an der DDR-Mauer überzeugend neu in Stellung brachte. Inzwischen sind die Lücken zwischen den Produktionen wieder größer geworden, aber für Impulse ist erneut die „Provinz“ zuständig. Für das Würzburger Mainfranken-Theater wäre da jede Grand Opéra schon vom Format her eine Mutprobe, aber mit „L’Africaine“ aus dem Nachlass des Giacomo Meyerbeer bewegt man sich fast vierstündig im Grenzbereich der eigene Ressourcen. Großes Orchester, großer Chor, große Stimmen für übergroße Gefühle – da geht es trotz vieler Gäste gelegentlich nur um Annäherungswerte.
Regisseur Gregor Horres sucht in der nachlässig verknoteten Historien- plus Liebesgeschichte um den ruhmsüchtigen Entdecker Vasco de Gama und seine gefährlichen Liebschaften vor der Wechselrahmen-Kulisse von Inquisition und Exotik vor allem die zeitlosen Themen. Dem Klerus auf beiden Seiten, ob er den Papst oder Shiva vertritt, hat er Bronze über den Kopf gegossen, womit die Priesterschaft goldgelbsüchtig in die Welt hineinregiert. Der Ausruf „Tötet den Fremden“, der da wie ein Echo zwischen zwei Fronten hin und her schallt, meint natürlich „das Fremde“. Hier wie dort wird abgewehrt, was unbekannt ist – und der forschende Romantiker, Vasco gegen den Rest der Welt, ist von der Liebe der Frauen wie von der Machtpolitik der Männer herumgewirbelt. Dabei sucht die Regie zunächst nur im großen Metaphern-Tableau den Zusammenprall der Kulturen, wenn sich die gespreizte Zivilisation und die magische Natur gegenseitig beschnuppern. Wichtiger sind ihr die Signale einer unfreiwilligen Aufhebung der Eigenheiten. Während der Seefahrer Vasco die entdeckte Südsee-Insel per schwärmender Arie noch als das Paradies beschreibt, das er halt schlichtweg so sehen will, ahnt der Zuschauer bereits die Bohrtürme, die wie Mahnwachen der Globalisierung zwischen den ökologischen Gefühlswallungen aufragen.
Zu Beginn hat Europa-Braut Ines (Nathalie de Montmollin kämpft heroisch mit der schwierigen Partie) ihre Liebesbriefe an den fernen Bräutigam (Paul McNamara mit etwas angestrengtem Helden-Schmelz) zu Papierschiffchen gefaltet, am Ende sucht die konkurrierende Insulaner-Königin (zunehmend souverän und am meisten gefeiert: Karen Leiber) den Opfer-Tod unterm Drogen-Baum. An dieser Stelle würde es dann trotz aller inszenatorischen Kühl-Aggregate eigendynamisch schwülstig, hätte nicht Dirigent Enrico Calesso aus der Not des relativ kleinen Philharmonischen Orchesters die Tugend der erstaunlichen Kontrastschärfe gezaubert. Würzburgs jungem GMD gelingt mit einem ständigen Wechsel zwischen kammermusikalischer Melodienseligkeit und knallharter Eckpunkt-Dramatik der belebende, manchmal noch besser an seinen Händen als aus dem Graben erkennbare Klang, der alle auseinanderstrebende Kolportage energisch bündelt. Dass Ausstatter Jan Bammes mit Wende-Wänden wie aus der Turnhalle alles zwischen Ratssitzung und Schiffsrumpf stilisiert und dann die Insel fast realistisch zum Wellness-Tempel mit Industrie-Bedrohung macht, ist ein Zeichen dafür, wie schwer Meyerbeers letztlich unvollendetes Werk zu realisieren ist. Das Würzburger Premierenpublikum übersah die Holperstellen großzügig und war vom Emotions-Feuerwerk begeistert.