Foto: Szene aus den Mannheimer Uraufführung "Alpha - Omega" © Hans Jörg Michel
Text:Vesna Mlakar, am 7. November 2015
Sterne im Foyer – metallisch-silbern, mit leicht abgegriffener Patina. Ein dekorativer Hingucker, könnte man meinen, zumal die letzte Uraufführung des scheidenden Ballettintendanten Kevin O’Day für sein Ballett am Nationaltheater Mannheim in die Vorweihnachtszeit fällt. Plötzlich, kurz vor Premierenbeginn, kommt Gesang und Bewegung ins Spiel. Zwei Tänzerinnen in goldenem Gewand umkreiseln die schmucken Raumteiler. Sie drehen und verbiegen sich wie verästelte Halme im Wind. Dazu durchströmen die zarten Stimmen von 32 Kindern des am Haus beheimateten Chors die weitläufige Halle: Sphärenklänge als Auftakt und Einstimmung für die folgende 70-minütige Auseinandersetzung mit Wendepunkten und Weggabelungen im Kreislauf von Kunstschaffen und Menschenleben.
Grundlage für die Tanzproduktion „Alpha – Omega“ im Schauspielhaus, die Rückschau halten und zugleich einen Neubeginn markieren soll, sind die „Four Quartets“ des englischen Lyrikers T. S. Eliot. Ein wichtiges Thema darin: Einheit und Auflösung sowie die Verschachtelung im Universum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Motive, die sowohl dem Choreografen O’Day als auch dem New Yorker Komponisten John King dazu dienten, die beiden in der Performance aufeinandertreffenden Ausdrucksschienen Tanz (gleitend-dynamisch-athletisch) und Musik (Gesang und ein Streicherquartett live im Wechsel mit elektronischem bzw. retrogeneriertem Sound) in eine (gleich den Jahreszeiten oder Elementen) viergeteilte (Zeit)Struktur einzupassen. Sie ist der offene Rahmen, in dem sich 13 Interpreten in nahezu rastlos überlappenden Gruppierungen aus Solisten bzw. Paaren präsentieren. Oder – anders ausgedrückt – sich unter vollem Einsatz ihrer smart-agilen Körper hingebungsvoll an einem Sujet abarbeiten, dessen Inhalt sich nur schwer durch bloßes Betrachten erschließen lässt.
Die Atmosphäre dominiert der nüchterne, dabei keineswegs unpoetisch wirkende (Einheits-)Kosmos des Bühnenausstatters Thomas Mika. Auf zwei scheinbar massive Betonwände werden Landschafts-, v.a. aber große Baumaufnahmen des Mannheimer Fotokünstlers Peter Schlör projiziert. Ein kraftvoller Akzent in Hell/Dunkel, der die Grenzen zwischen Innen- und Außenraum durchbricht. Genau wie drei riesige, seitlich in den Raum hineinragende Lichtröhrenschächte. Symbolhaft liegen darin kleinere Sterne, die den gesamten Verlauf des Stücks begleiten. Lediglich die changierenden Lichtstimmungen von Mark Stanley spielen mit leichtem Blau. Den Eindruck vom Anderswo – einem Arkadien ohne Farben – unterstreicht schließlich noch das breite Wasserbassin im Vordergrund, in dem sich das formabstrakte Geschehen so schön spiegelt, bis es die Tänzer in der finalen Klimax zu wilden Planschereien verleitet.
Konform zu Kings mal kratzig aufgeregter, mal Melodiemuster aufgreifender Partitur variiert Kevin O’Days Solistenensemble gedehnte Moves, Kontorsionen und langsame Sequenzen mit eruptivem Aktionismus aus Sprüngen, Rutschern und In-die-Knie-Sackern. Permanent schnelle Richtungswechsel werden mit spontanen Bewegungspausen kombiniert, wobei das Singen der Kinder den rhythmischen Drive diktiert. Noch etwas schüchtern in den blues- bzw. gospelartigen Solopassagen: Antonia Schuchardt. Doch die Bewegungscollage nutzt sich ab, mutiert zu einer Schleife von Beliebigkeit. Vielleicht sogar gewollt, denn bisweilen scheppert und säuselt auch Kings Sound wie ein endlos oft abgespieltes Kassettenband. Enthusiasmiert gibt sich das Publikum nichtsdestotrotz. Es wird kräftig applaudiert. Und zum Schluss alles wieder zurück auf Anfang gespult. Nicht auf der Bühne. Im Foyer!