Serge Aimé Coulibaly, der als Tänzer unter anderem mit Sidi Larbi Cherkaoui und Alain Platel gearbeitet hat, gründete 2002 sein Faso Danse Théâtre. In seinen Arbeiten verbindet er zeitgenössischen Tanz mit Essenzen des afrikanischen Tanzvokabulars zu einem singulären choreographischen Stil, dessen außergewöhnliche Expressivität auch das neue Stück „Wakatt“ prägt. „Wakatt“ bedeutet „Unsere Zeit“, übersetzt man es aus Mòoré, der Nationalsprache Burkina Fasos. Was unsere Gegenwart immer stärker prägt, hat Coulibaly zum zentralen Motiv des Stücks erkoren: die Angst.
Vor dem lichten Halbrund einer untergehenden (oder aufgehenden?) Sonne haben sich zehn Tänzerinnen und Tänzer sowie am Rande drei Musiker versammelt, der Boden des Bühnenbildes von Catherine Cosme ist zentimeterdick mit schwarzen Papierschnipseln bedeckt, die von Staub über Asche bis Stein verschiedene Assoziationen zulassen. Und gerade zu Beginn der Choreographie findet Coulibaly einprägsame Möglichkeiten, um den verschiedenen Facetten von Angst Ausdruck zu verleihen: sei es die Angst zu Sterben, die sich in einem heftigen Todeskampf zeigt, oder die Angst vor dem Fremden, deren Folgen immer wieder Gewalt, Abschottung und Ablehnung sind, und die die Tänzer in immer neuen kurzen, aber eindeutigen Kampfposen versinnbildlichen. Es folgen viele weitere Bilder der Angst, für die Coulibalys Choreographie teils auch auf ein stummes Gebärdenspiel oder ausdrucksvolles Schreien zurückgreift. Nicht ohne Grund tragen die Tänzer überwiegend Knieschoner, immer wieder ist es auch ein Fallen und ein Stürzen, das man sieht – auf den Boden, in die Angst. Mit wenigen Ausnahmen ist das Tempo der Tanzenden dabei sehr hoch, die Bewegungsmuster auf der Bühne dabei stark variierend und hochkomplex. Immer neue Dynamiken der Vereinzelung prägen das Gebilde der Tanzenden, und manchmal geschieht so vieles gleichzeitig, dass das Auge kaum mithalten kann. Es ist, als spiele Coulibaly dadurch auch beim Publikum mit der Überforderung, die die Gegenwart und die ihr innewohnende Angsterfülltheit so prägen. Nicht jede Geste, nicht jede Szene ist dabei von Eindeutigkeit geprägt, und zwischendurch droht die Choreographie auch mal ins allzu Unleserliche abzurutschen.
Stark wird sie dagegen da, wo Coulibaly sich der Frage gewidmet hat, wie sehr Gewalt trotz aller Friedfertigkeit im Menschen veranlagt ist; in den Szenen, wo liebevolle Berührungen urplötzlich in körperliche Ablehnung umschlagen, wo aus der Umarmung ein Wegstoßen oder eine Geste der Macht beziehungsweise Machtlosigkeit wird. Dass die Bedrohung während des ganzen Abends so präsent ist, liegt neben der intensiven Choreographie und den starken Tänzern, die den expressiven Stil Coulibalys wirkungsvoll umzusetzen vermögen, auch an der Live-Musik, die der Jazzmusiker Malik Mezzadri alias Magic Malik komponiert hat. Als Flötist und Sänger steht er neben Maxime Zampieri (Schlagzeug) und Jean-Luc Lehr (Bass) mit auf der Bühne, und seine Musik spricht permanent eine Sprache des Unbewussten, der Gefahr, der Sehnsucht gleichermaßen. Die Gleichzeitigkeit dieser Ebenen bricht sich dann auch im Schlussbild der Choreographie noch einmal eindrucksvoll Bahn: Während der Großteil der Gruppe eine Art Feier des Lebens zelebriert, ist einer von ihnen nun mit einer Bombenweste gekleidet, als unerkannter Attentäter schleicht er durch die Ahnungslosen, den Finger am roten Knopf, bis das Licht auf der Bühne schließlich erlischt. Hoffnung und Argwohn, Gemeinschaft und Einsamkeit, ganz nah beieinander.