Foto: Eva-Maria Keller, Alexandra Lukas, Artur Spannagel und Tim Czerwonatis © Marina Sturm
Text:Detlev Baur, am 21. September 2020
„Nichts hier ist real.“ In zartes blaues Licht getaucht steht auf der ebenerdigen Bühne des tif am Staatstheater Kassel ein japanisches Pavillon-Häuschen mit Schiebetüren in allen vier Papierwänden (Bühne und Kostüme: Paula Wellmann, Licht: Dirk Thorbrügge). Im Lauf der gut zwei Stunden des Verwirrspiels „z.B. Philip Seymour Hoffman“ dreht sich dieses Häuschen immer wieder und zeigt dabei immer neu die gleichen Seiten einer kleinen, unendlich unklaren Welt.
Der argentinische Autor Rafael Spregelburd schrieb das Stück im Jahr 2016 nach dem Tod des großen Hollywoodschauspielers Philip Seymour Hoffman; da ein Film nicht fertig abgedreht war, gab es Überlegungen, den Darsteller teilweise mit Hilfe eines digitalen Doppelgängers wieder zum filmischen Leben zu erwecken. Spregelburds Stück – dessen Dramen, etwa über die sieben Todsünden, hierzulande immer wieder, aber nie dauerhaft gespielt wurden – dreht sich um drei Filme: eine Flughafen-Saga, in der Hoffman die Hauptrolle spielen soll, einen japanischen Filmklassiker und dessen Hollywood-Remake, für das ein erfolgloser Schauspieler gecastet wird, den alle Welt mit Hoffman verwechselt. Hoffman wiederum hat keine Lust auf die Saga, erhält jedoch von einer Betrügertruppe das Angebot, ihn offiziell sterben zu lassen, um ihn dann durch vermeintlich teure digitale Animationen wieder zu ersetzen. Der Hauptdarsteller des japanischen Films hingegen wird durch einen weiblichen Fan in Verwirrung gestürzt, der sein Leben besser kennt als er selbst – woraufhin dem Schauspieler von einer Quizshow vorgeworfen wird, mit ihr unter einer Decke zu stecken.
Der junge Regisseur Wilke Weerman eliminiert für die deutschsprachige Erstaufführung den Flughafenstrang und einige erotische Szenen, verwandelt den unbekannten belgischen Hofmann-Doppelgänger in einen Brandenburger und konzentriert so das so anregende wie überbordende Drama. Identitätskrisen verbunden mit Vermischungen aus darstellerischem Schein und Sein sind kein ganz neues Theaterthema; auch legt die Konzentration auf Hollywoodfilme nicht unbedingt eine Theaterfassung hierzulande nahe. Und doch gelingt Weerman und dem beeindruckenden Ensemble aus sechs Darstellerinnen und Darstellern mit Hilfe der Konzentration auf japanische Fremdheit ein sehenswertes Kammerspiel.
Mit künstlichen Plastikperücken betreten die Akteure die abgegrenzte Spielfläche um den Pavillon herum mit einem rituellen Hüpfer und spielen dort zerbrechliche Zombies. Das mag auf den ersten Blick an Bühnengestalten bei Herbert Fritsch oder Ersan Mondtag erinnern. Doch gelingen Regie, Bühnengestaltung und Ensemble das kleine Wunder, in dieser abstrusen Welt mit nur lose verbundenen Strängen bedrängte, anrührende Menschen zu zeigen. Besonders Artur Spannagel verbindet in der Rolle als Hoffman – alle Darsteller übernehmen diverse Rollen – eine schwergewichtige, ungelenke Figur mit einer spielerischen Leichtigkeit, die auf ein spannungsreiches Leben hinter den Masken schließen lässt.
Vor nicht mehr als 30 Zuschauern entwickelt sich also ein unterhaltsames Gruselkabinett aus menschlichen Puppen, das durch deren Verletzlichkeiten eine eigenwillige Schönheit entwickelt. Am Ende spannt eine etwas lang geratene Spielfilmeinspielung (Video: Christian Neuberger) alle Darsteller zusammen: Im tiefsten Kanada spielt ein Filmschauspieler im November den Weihnachtsmann für einen dem Tode geweihten Jungen und gerät dabei in Familienzwist im Nachbarhaus. Die Filmdarsteller um die wunderbar nervige Schwester (Eva-Maria Keller) betreten die Bühne und schauen sich selbst zu. Am Ende geht das Licht aus bei den Nachbarn, so heißt es im Film, und so geschieht es dann auch auf der Bühne in Kassel.