Foto: "Mina" an der Oper Frankfurt © Barbara Aumüller
Text:Regine Müller, am 3. Februar 2019
Und noch ein partizipatives Musiktheater in Frankfurt: „Mina“ ist ein mit dem Wort Oper unzureichend beschriebenes Bühnenwerk, zu dem Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 20 Jahren nicht nur Text und Musik beisteuerten, sondern auch selbst im Graben sitzen und auf der Bühne stehen. Die Oper Frankfurt steht hinter dem ambitionierten Projekt, das etwa ein Jahr Vorlauf hatte und sanft gelenkt und unterstützt wurde durch Profis: Der Komponist und Dirigent Uwe Dierksen kümmerte sich um Komposition und Einstudierung und leitet selbst die Uraufführung, die Frankfurter Autorin Sonja Rudorf unterstützte und schrieb mit an Plot und Libretto, Ute M. Engelhardt inszenierte. Auch Bühnenbild und Kostüme (Mara Scheibinger), Licht (Marcel Heyde), Sounddesign (Felix Dreher) und Choreographie (Andrew Cummings) übernahmen Profis.
Die Jugendlichen waren aber (fast) völlig frei, Sujet, Handlung und musikalische Formen zu wählen, wenn auch professionell gelenkt. Herausgekommen dabei ist Erstaunliches, wie Intendant Bernd Loebe in seiner kurzen Begrüßungsansprache bemerkte: „Die Waffe der Jugend heute ist Poesie! Da war ich sehr überrascht. Nicht Social Media, Integration oder dergleichen sind die brennenden Themen. Sondern Freiheit, Beziehungen und Solidarität.“
Naja, ein bisschen politisch wird es dann schon auch noch, aber tatsächlich erst spät am kurzweiligen, etwa zweistündigen, von einer Pause unterbrochenen Abend. „Mina“ erzählt die Coming-of-Age-Geschichte der gleichnamigen Titelheldin, die auf der Suche nach ihrer Identität ist und in ihrem durch und durch ritualisierten Alltag von ihrer verstorbenen Mutter und dem ebenfalls verstorbenen Jugendfreund Rey sozusagen ferngesteuert und dadurch am Leben gehindert wird. Es kommt zu einer scheuen Begegnung mit einem gewissen Finn, doch Mina zögert, ihre Mutter und Rey funken wiederum dazwischen. Dennoch trifft sie Finn, ist hin- und hergerissen, dann abgestoßen von einer alkoholseligen Party mit Finns Freunden. Schließlich löst Mina sich sowohl von ihren „Stimmen“ als auch von Finn und ist am Ende frei.
Ute M. Engelhardt inszeniert das etwas skurrile Geschehen auf einer steil ansteigenden Schräge schnörkellos, mit viel Tempo und revueartigen Elementen wie chorischen Formationen und gelegentlichen Tanz-Miniaturen. Alle AkteurInnen tragen Mikroports, müssen sprechen und singen (manchmal auf englisch). Nicht weniger als 21 Schülerinnen und Schüler stehen solistisch auf der Bühne, dazu ein dreizehnköpfiger Chor, außerdem gibt es eine vierköpfige Band, ein nur hier und da professionell verstärktes Orchester mit Streichern, einer starken Blechbläserfraktion, Saxophon, Flügel und Cembalo.
Cembalo? Ganz recht, denn das wirklich ganz und gar Außergewöhnliche dieses erfrischenden, flott funktionierenden, manchmal auch sympathisch naiven Abends ist die Musik, die Uwe Dierksen gemeinsam mit den Jugendlichen ausgehend von Improvisationen aller Beteiligten entwickelt hat: Eine rasante Mischung aus beinahe allem, was zwischen Barock und Pop ersonnen wurde. Da gibt es veritable Rezitative, die Jago Schlingensiepen als Rey zum Cembalo intoniert, dann gibt es satten Bigband-Sound bei chorischen Momenten und dem glamourösen Auftritt der „Leinwanddiva“ (Zinah Edzawe), schlichte Popsongs zur Gitarre, fetzend Rockiges aus rauen Jungs-Kehlen, sirenenhafte Mehrstimmigkeit hoher Frauenstimmen à la Richard Strauss, Geräuschmusik mit Kaffeetassen oder Schreibmaschinen, kurzum: einen vor Ideen überschäumenden Parforce-Ritt durch die U-und E-Musikgeschichte ohne jegliche Berührungsängste mit gelegentlich auch seichter Schlager-Poesie. Uwe Dierksen mixt das alles souverän und mit untrüglichem Gespür für Timing zusammen und sorgt stets für hohes Tempo.
So hängt nichts durch an diesem Abend und die Hauptrollen sind famos und rollendeckend besetzt, alle singen wacker bis hervorragend. Lena Diekmann ist eine glaubwürdig zerrissene Titelheldin und Ole Schwarz als Finn ein einnehmender Singer-Songwriter mit Klampfe und gelben Socken. Gelegentliche Wackler sowohl im Spiel als auch im Gesang sind kein Verlust, sondern verleihen dem Ganzen den Zauber jener Authentizität, die nur in einem bestimmten Zeitfenster – eben dem der Heranwachsenden – abrufbar ist. Diese Unmittelbarkeit, gepaart mit einer gewissen Unsicherheit und einer noch ungetrübten schwärmerischen Romantik, das erinnert jeder gern. „Es wird diese Rückkopplungen geben“, hatte Loebe zu Beginn freundlich gewarnt. So war es. Großer Jubel im brechend vollen Auditorium für ein sympathisches und rundum gelungenes Projekt.