So weit halten Feridun Zaimoglu und Günter Senkel dem Sagenkreis um Dietrich von Bern und dem Nibelungenlied die Treue. Doch wandelt sich der abgedankte König in ihren Augen zum Friedenspolitiker und Apostel der Gewaltlosigkeit. Selbst unter Gefahr für das eigene Leben. Denn am Burgunderhof trifft eine zweite Gesandtschaft ein, die Ermanrichs, dessen Botschafter Sibich Schutz vor den Hunnen verspricht. Der Preis: Dietrichs Kopf. Burgunderkönig Gunther steckt im Dilemma.
So verlockend sich Etzels Angebot friedlicher Koexistenz ausnimmt, seine Truppen durchstreifen Burgund. Obschon unter Zweifeln, setzen Hagen und Brunhild dennoch auf die hunnische Karte. Zwar muss sich der Berner dafür die Hände nicht beschmutzen, aber weder der Tronjer noch die einstige Walküre tragen Bedenken, den gotischen Gesandten und sein Gefolge abzuschlachten. Final gibt Dietrich seinen Vorsatz der Gewaltlosigkeit preis. Dies, als er Kriemhilds nicht auf Völkerfrieden, sondern auf Krieg und Untergang der Burgunder zielende Absicht durchschaut. Doch ehe er Siegfrieds Witwe durchbohren kann, sticht ihn Brunhild von hinten ab. Die Feindin muss leben und auf die Etzelburg.
Geballte Intrigen
Eines verbindet die beiden Frauen: Die Burgunder gehören vernichtet. In die Kabalen am Wormser Hof mischen Zaimoglu und Senkel die Drud, des Berners ganz persönliches Gespenst. Sie ist die albtraumhafte Projektion dessen, was Dietrich in Krieg und Schlacht an Schuld auf sich geladen hat. Die Kriegerin Witta, seine einstige Kombattantin und nun Todfeindin auf Seiten Ermenrichs, stellt sich aus freien Stücken in den Dienst wechselnder Herrscher. Die Kampfmaschine wird von Brunhild mit vergiftetem Burgunderwein beseitigt. Überhaupt braucht es zahlreiche Tötungsdelikte von fremder Hand, um den Berner vor eigenen Morden zu bewahren.
Der letztendliche Versuch, Kriemhild zu beseitigen, lässt ihn am eigenen Anspruch scheitern. Was aber gelingt, ist, dass Senkel und Zaimoglu mit der Titelfigur auf weite Strecken und um hohen Preis das Prinzip Hoffnung in die Dystopie am Wormser Hof einführen. Sie bauen dazu eine Sprache auf, die sich stellenweise gesucht, mitunter sententiös und leicht altbacken liest. Freilich lebt sie auf der Wormser Riesenbühne glutvoll auf. Keine Frage, das Idiom ist für das monumentale Format exakt zurechtgemeißelt.
Blanke Gewalt in Blut und Schlamm
Roger Vontobel scheut nicht vor Gewaltexzessen. Die Tötungsszenen treiben den Bühnenrealismus so weit wie nur irgend möglich. Das Blut fließt in Strömen. Das der Schlachten vermischt sich mit dem unaufhörlichen Strom aus Siegfrieds aufgebahrter Leiche. Kein noch so intensiver Reinigungsversuch vermag es fortzuspülen.
Einzig Kriemhild bedarf der Leiche als für sie einzig vertrauenswürdiger Kommunikationspartner. Die restliche burgundische Herrschersippe stört sich am Toten, obschon sie sich so weit möglich mit ihm eingerichtet hat. Brunhild funktioniert das sonst lästige Requisit gar zeitweise zum Sitzmöbel um. Die einstige Walküre hängt an der Flasche, handelt aber in entscheidenden Augenblicken zielführend, wenn sie Witta und den Berner beseitigt, um Kriemhild den Weg auf die Etzelburg zu bahnen. Des Berners Friedensinitiative kommt allzu bemüht messianisch daher. Dietrich ist kein Erlöser, er strengt sich an, einer zu sein.
Immer wieder schlägt Uneigentlichkeit durch. Franz Pätzold changiert dazu zwischen Litaneihaftem und Sprecharie. Für Kriemhild bietet Jasna Fritzi Bauer innere Statur, Leidenschaft und Burschikosität auf. Yohanna Schwertfeger lauert hinter Brunhilds Säuferinnenmaske auf den Zeitpunkt zur Rache am Gemahl, in dem sie einzig ihren Vergewaltiger sieht. Bei Thomas Loibl ist Hagen gewollt farbloser Realpolitiker. Marcel Heupermans Gunther ist die personifizierte Unentschlossenheit. Alles dies siedelt Palle Steen Christensen auf einer aus Schlamm und Unrat ragenden Bühne an. Zu Siegfrieds monumentalem Katafalk führen auf beiden Seiten repräsentative Stufen. Wenn sich Kriemhild zum Zug auf die Etzelburg entschließt, lodert des Recken Scheiterhaufen in hellen Flammen. Tina Kloempkens Kostüme vereinbaren Heutiges mit historischen Anspielungen.