Malin Kraft, Jens Tramsen, Fynn Knorr und Thyra Uhde stehen verteilt vor einer weißen Wand. Sie blicken verstört nach vorn.

Krieg zwischen weißen Wänden

Krzysztof Minkowski: Ihr wisst nicht, was Krieg ist

Theater:Junges Theater Göttingen, Premiere:31.08.2024 (UA)Vorlage:Ihr wisst nicht, was Krieg istAutor(in) der Vorlage:Yeva SkalietskaRegie:Krzysztof Minkowski

Von der Ukraine nach Irland: Krzysztof Minkowski inszeniert am Jungen Theater in Göttingen das Tagebuch eines zwölfjährigen Mädchens, das vor dem Krieg fliehen musste. Minkowski lässt den Text zwischen weißen Wänden schwingen.

Am 14. Februar 2022 wird Yeva Skalietska zwölf Jahre alt. Es gibt Ballons, Geschenke, eine Bowling-Party im Einkaufzentrum. Am 24. Februar steht Yevas Oma am Fenster und schaut Richtung russische Grenze. Dorthin, von wo die Raketen kommen. Und dann beginnt die Flucht. Am Jungen Theater in Göttingen inszeniert Krzysztof Minkowski in einer Uraufführung das Tagebuch des zwölfjährigen Mädchens.

Yeva begann es an dem Tag, an dem Krieg begann – „Ich möchte mich in 20 Jahren daran erinnern, wie der Krieg meine Kindheit zerstört hat“, schreibt sie. Am kleineren Göttinger Stadttheater wird der Text sehr reduziert inszeniert: Vier Darsteller:innen rezitieren in einer weißen Bühnenbox mal chorisch, mal einzeln den Text. Manchmal sind sie wütend dabei, manchmal traurig, manchmal laut, manchmal leise. Einmal sind sie im Publikum, manchmal gibt es ein wenig Musik. Viel Raum für den Text, also, in dem Yeva und ihre Oma erst in die Westukraine fliehen, dann nach Ungarn und weiter nach Irland. Es ist ein intensiver Text, weil er den Krieg dicht heranholt an den Theatersaal: Das Chaos, die Bomben, den Beschuss, die ständigen Gerüchte der ersten Tage: „So nah ist der Tod noch nie gewesen“, heißt es in der Inszenierung, als eine kreisende Drohne Bomben abwirft.

Die Flucht ist allein von dem Wohlwollen anderer Menschen abhängig: Nach Ungarn kommen Yeva und ihre Oma nur, weil ein Grenzpolizist ein Auge zudrückt. Nach Irland, weil Yeva sich mit zwei irischen Journalisten anfreundet, die sich um eine Unterkunft für die beiden bemühen. „Wenn Krieg ist, willst du nur weiterleben“, heißt es auf der Bühne. Immer steht Yeva auch in Kontakt mit ihren Freunden, die nun über die Ukraine und Europa verteilt sind. Sie chattet mit ihnen, bekommt Fotos und Videos ihrer nun zerstörten Wohnung ihres alten Viertels nach Irland geschickt. Sie ist froh, dass ihre zurückgelassene Plüschkatze noch heile ist. Yeva wolle einfach nur Frieden, einfach nur irgendeine Heimat, heißt es am Ende der Inszenierung.

Minimalistische Dynamik

Minkowskis Entscheidung, hier nicht nur mit einer minimalen Kulisse, sondern fast schon mit einer Anti-Kulisse, also nur weißen Wänden zu arbeiten, ist eine gute: Der Text ist der Star des Abends. Er ist zwar, literarisch betrachtet, nicht unbedingt ausgefeilt oder stilistisch bemerkenswert, aber das muss er auch nicht sein. Er fühlt sich vor allem ehrlich an, verzweifelt, aber auch auf eine anrührende Weise optimistisch: Yeva nimmt sich in ihrem Tagebuch auch die Zeit, allen Helfern auf ihrem Weg zu danken. Sie hofft auf eine bessere Zukunft, auf eine neue Heimat. Ob nun in Irland oder in der Ukraine.

Für Dynamik im Text sorgen die vier Darsteller:innen mit ständigen Tempo- und Lautstärkewechseln. Oft gehen sie übers Rezitieren hinaus, wirken selbst ergriffen. Malin Kraft schafft es in der Schlussszene sogar, eine Träne über die Wange laufen zu lassen. Tatsächlich sind vor allem die Stellen ein wenig unpassend, in denen es Musik gibt: „Zombie“ von den Cranberries ist zu hören, „Firestarter“ von The Prodigy. Beides Songs aus der Mitte der 90er Jahre, in denen es um Krieg und Zerstörung geht, die aber weder etwas mit Yeva zu tun haben noch im Kontext des Ukraine-Krieges besonders sinnvoll sind. Einmal singt das Quartett Leonard Cohens „Hallelujah“. Statt „Hallelujah“ singen sie den Namen von Yevas Plüschkatze, was unfreiwillig komisch wirkt.

Doch das sind nur sehr kleine Momente in der ansonsten sehr intensiven, teilweise beklemmenden, aber am Ende auch hoffnungsvoll stimmenden Jugendinszenierung. Denn am Ende ist da, wenn auch zart, die Hoffnung auf eine bessere Welt, auf Frieden. „Alles wird gut, daran glaube ich ganz fest“, heißt es gegen Ende, und trotz aller Widrigkeiten auf dem Weg.