Foto: Schlussbild mit Luftwürsten. Daniel Pannermayr (Oberpriester, in Weiß), Johanni van Oostrum (Judith, Mitte), Ensemble © Thilo Beu
Text:Andreas Falentin, am 30. Mai 2016
Vor zwei Jahren hat Jürgen R. Weber an der Oper Bonn die späte szenische Uraufführung von Walter Braunfels’ „Der Traum ein Leben“ nach einem Drama von Franz Grillparzer in eine mit ästhetischen Strömungen der Entstehungszeit übermalte Fantasy-Ästhetik gekleidet. Das ungewöhnliche Stück hielt diesen Zugriff aus, wegen seiner vielen aufregenden Klangfarben und innovativen Einzelheiten, und wohl auch, weil Weber die Traum-Atmosphäre des Stoffes entgegenkam und er phasenweise zu einem respektvoll erzählenden Umgang mit dem Stück fand.
Rezniceks „Judith“, deren Text der Komponist selbst nach dem auf der biblischen Episode basierenden Stück von Friedrich Hebbel gestaltet hat, ist ein anderer Fall. Viel homogener ist die Musik dieser 1923 triumphal aufgeführten, kaum abendfüllenden expressionistisch-jugendstiligen Monstrosität – und, zumindest über weite Strecken, deutlich epigonal. Da „strausst“, „wagnert“ und „zemlinskyt“ es in mindestens jedem zweiten Takt. Die Partitur bietet durchaus Reize, setzt theatralische Impulse, aber diese muss der Regisseur kenntlich, für die Szene produktiv machen. Mit anderen Worten: Bei „Judith“ scheint in erster Linie der Regiehandwerker gefragt. Das kann oder will Jürgen R. Weber jedoch nicht sein. Seine szenischen Arrangements erschöpfen sich in kleinformatiger Parodie, die vielleicht komisch sein, vielleicht aber auch die Machart des Stückes geißeln soll. Nur: Warum sollte man es dann spielen? Und warum wirken diese parodistischen Elemente so lieblos verstreut, so wenig ausformuliert, so ununterscheidbar von Laienspiel?
Im zweiten Akt etwa gibt es einen monumentalen Turm als mobile Burg des Holofernes, der mehrfach unter großer Arbeit von Choristen und Statisten im Kostüm sowie Bühnenarbeitern in schwarzer Arbeitskluft meterweise hin und her bewegt wird, als wäre man bei einem privaten Wohnungsumzug. Einmal senkt sich von seiner Höhe quälend langsam und ruckelnd eine Spielebene herab – und von vielen Plätzen darf man dem Techniker zusehen, der in enervierender Privatheit die den Vorgang auslösende Kurbel dreht. Dazu kommt die überbordende, sich vor Hollywood, vor „Star Wars“ und „Star Trek“ ohne jedes Augenzwinkern verbeugende Ausstattung von Hank Irwin Kittel und Kristopher Kempf. Es rauscht ein sich endlos ziehendes Trinklied vorbei, in dem sich nichts ereignet, außer dass Holofernes mit seinem Becher wedelt und der Herrenchor rhythmisch im Takt mitwackelt. In der Eingangsszene und auch später mehrfach muss Ceri Williams, die Judiths Amme mit erzenem Alt gültig gestaltet, eine Chorführerin als Ulknudel mimen. Weder in Judiths Auftrittsarie noch im großen Duett des zweiten Aktes bekommen die hervorragend singenden Protagonisten irgendwelche Hilfen vom Regisseur. Man erfährt nie, wo er mit diesem Stück, das in etlichen dramaturgischen und musikalischen Einzelheiten fast als demütige Übermalung von Richard Strauss’ „Salome“ daherkommt, eigentlich hinmöchte. Etliche optische Zutaten, etwa Videos mit Schriften und Bildern von Playmobil-Figuren und Organmodellen oder große Luftwürste, die immer wieder das Bild dominieren, befruchten die Szene nicht, interagieren nicht mit der Musik, fungieren einzig als wurschtig hingesetzte Dekoration.
Wesentlich ernsthafter geht Jacques Lacombe im Graben zu Werke. Der neue Chefdirigent der Bonner Oper tariert den Klang dynamisch fein aus, achtet auf Durchhörbarkeit, passt das Stück vorbildlich in die schwierige Akustik des Hauses ein und unterstützt die Sänger nach Kräften. An mehreren Stellen dirigiert er absichtsvoll burschikos über kleinere Ballungen von Lyrismen hinweg, als wolle er Kitschgefahr in jedem Fall vermeiden. Das Beethoven Orchester folgt sehr konzentriert. Johanni van Oostrum und Mark Morouse gestalten die mörderischen Hauptrollen mit aller Konzentration und Intensität, die ihnen der szenische Rahmen übrig lässt.