Foto: Szenenbild aus "Der Wald" © Björn Hickmann
Text:Regine Müller, am 8. April 2024
Regisseur Manuel Schmitt verbindet Schönbergs „Erwartung“ und Ethel Smyths „Der Wald“ in der Oper Wuppertal schlüssig, GMD Patrick Hahn entfesselt Schönklang, aber musikalisch passen die beiden Stücke nicht wirklich zusammen.
Im stummen Vorspiel betritt eine Frau eine menschenleere Hotel-Lobby. Sie trägt ein langes weißes Kleid, darüber einen dunklen Mantel, an der Wand über dem Tresen hängt ein expressionistisches Gemälde in Blautönen, schemenhaft ist darauf eine Gestalt zu erkennen. Niemand kommt, die Frau im weißen Kleid haut ungeduldig auf die Tischglocke, doch sie bleibt allein. Dann setzt die Musik von Schönbergs „Erwartung“ ein, die das spätromantische Terrain bereits verlassen hat, aber noch nicht in die heißkalten Höhen der Zwölftonmusik emporgeklettert ist. Es beginnt der Monolog der namenlosen Frau, die sich am Rand eines Walds wähnt, auf der Suche nach ihrem Geliebten scheint und schließlich einen leblosen Körper findet. Es bleibt offen, ob er sie betrogen hat, sie verließ und was sie mit seinem Tod zu tun hat.
Schönbergs Opus von 1909 ist harter Toback, kontaminiert von den Erkenntnissen der Psychoanalyse, Marie von Pappenheims Libretto gibt Einblicke in die Psyche einer wahnhaften Frau und bedient zugleich das modische Interesse der Zeit an schwüler Erotik. In Wuppertal kombinieren Regisseur Manuel Schmitt und GMD Patrick Hahn Schönberg mit einer Rarität, nämlich Ethel Smyths Music Drama „Der Wald“ von 1902. Die britische Komponistin rückt in den letzten Jahren vermehrt wieder in die Aufmerksamkeit, dabei war sie zu Lebzeiten durchaus anerkannt. Vor allem in Deutschland versuchte sie, Fuß zu fassen, was ihr mit Mühen auch gelang, „Der Wald“ kam immerhin am Königlichen Opernhaus Berlin zur Uraufführung und ein Jahr darauf kam das Werk als erste Oper einer Frau an der New Yorker MET heraus.
Ins Ungefähre hinein
Mit Schönbergs „Erwartung“ verbindet Smythes „Der Wald“ nicht nur die Zeitgenossenschaft, sondern auch das Sujet des Walds, der für die deutsche Ideen- und Theatergeschichte ja schon immer ein besonderer Ort war, aber im frühen 20. Jahrhundert als symbolischer Ort nochmals eine Bedeutungserweiterung erfuhr. Für Regisseur Manuel Schmitt lag es daher nahe, beide Opern miteinander zu verklammern. Julia Katharina Berndts Bühne zeigt ausgehend vom gleichen Hotelfoyer fluide sich verändernde Räume, deutet Naturhaftes aber lediglich mit Bühnennebel an. Die namenlose Frau zerhackt am Ende von „Erwartung“ das expressionistische Gemälde, dahinter deuten sich geheimnisvolle Weiten an, wenn „Der Wald“ übergangslos beginnt, ist das Bild verschwunden, dafür multipliziert sich der Lobbyraum immer weiter verkleinert nach hinten bis ins Ungefähre.
Drei Frauen tragen das Geschehen der beiden Opern: Die Namenlose (Hanna Larissa Naujoks) in „Erwartung“ und Röschen (Mariya Taniguchi), sowie Jolanthe (Edith Grossman) in „Der Wald“. Die ersten zwei tragen lange weiße Kleider, Jolanthe schwarz und einen lilafarbenen Mantel, alle drei rötlichblonde Perücken. Der Geliebte, den die Namenlose bei Schönberg verzweifelt sucht, taucht dort als stumme Rolle in einem Kapuzenmantel auf, in „Der Wald“ kehrt er wieder als Heinrich. Der stirbt am Schluss von „Der Wald“, weil der seinem Röschen die Treue hält und nicht Jolanthes Sirenenrufen folgt, aber als finale Vollstreckerin kommt wieder Schönbergs Namenlose herein.
Konzentriertes Monodram versus romantische Oper
Das ist clever gemacht und gelingt atmosphärisch und auch in Sachen Personenführung schlüssig. Dass es in beiden Opern um einen imaginären Wald als Chiffre für allerlei Chaos im Unbewussten geht, wird in der Verklammerung sinnfällig. Dass beide Werke bei genauem Hinhören jedoch nicht so viel miteinander zu tun haben, ist aber ebenso evident. Handelt es sich bei Schönberg um ein extrem konzentriertes Monodram mit verdichteter Tonspur, bietet Ethel Smyth alles auf, was die spätromantische Oper, die sich noch ein bisschen in die Romantik zurücksehnt zu bieten hat.
Die äußere Story ist verworren: Die Hochzeit von Röschen und dem Holzfäller Heinrich steht bevor, der Chor der Waldgeister singt und die Dorfleute, ein Hausierer taucht auf mit einem Bären. Dann kündigt sich die geheimnisvolle Jolanthe an, Geliebte des Landgrafen, der man Böses nachsagt. Heinrich bringt Röschen ein gewildertes Reh – das bei „Erwartung“ bereits tot aus dem Schrank fiel – es wird versteckt. Jolanthe taucht auf, begehrt Heinrich, dieser weist sie zurück, sie rächt sich für die Abweisung, indem sie ihn für die verbotene Wilderei sterben lässt.
Smyth hat sich lustvoll bedient: Da klingen Weber’sche Jägerchöre an, Wagners „Tannhäuser“, aber auch Schumann, Brahms und Mendelssohn. Das Libretto ist arg grobkörnig, die dramaturgischen Sprünge krass, aber insgesamt ist die Musik handwerklich gut gemacht, indes kaum ein Geniestreich. Kein Zufall ist es sicher, dass die weibliche Komponistin die Männer blass aussehen ließ, allerdings beim weiblichen Personal wenig Sympathisches auffährt. Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen, Patrick Hahn entfesselt süffigen Schönklang, das Ensemble ist famos, allen voran Mariya Taniguchis Röschen mit flammender Emphase, gefolgt von Edith Grossmans funkelnder Jolanthe und Hanna Larissa Naujoks expressiver Namenloser. Großer Applaus für ein geglücktes Experiment.