Foto: Szene mit Sander de Jong, Margaux de Valensart, Randall Scotting, Edith Grossman, Erik Rousi und Subin Park © Bettina Stöß
Text:Regine Müller, am 10. März 2024
Die Oper Wuppertal zeigt Händels Zauberoper „Alcina” von Tänzerinnen und Tänzern begleitet in einer schlüssigen Inszenierung von Julia Burbach. Das Sinfonieorchester Wuppertal beweist erneut stilistische Versiertheit.
Nah am Bühnenrand ist ein Hausflur aufgebaut, an den Wänden Holzfurnier, Briefkästen und ein Münztelefon. Während des langsamen Teils der Ouvertüre betritt eine elegante Frau den Flur, sie trägt ein himbeerrotes Etuikleid der 1960er Jahre, darüber einen schwarzen Bolero. Sie öffnet einen Briefkasten und holt einen Brief heraus, öffnet ihn. Offenbar eine schlechte Nachricht, ein Mann kommt herein, gefolgt von einer Frau, die ungeduldig an ihm zerrt. Ein kurzer Abschied, dann rutscht die elegante Frau an der Wand langsam zu Boden. Ende des langsamen Teils der Ouvertüre, die übrigens in hellem B-Dur steht.
Ein Salon mit barocken Versatzstücken
Dann hebt der schnelle Teil an, die furnierte Holzwand fährt hoch und wir blicken in einen Salon, in dem sich Stilmerkmale der 1950er Jahre und des Rokoko mischen, fünf Tänzerinnen und Tänzer entern die Bühne in Kostümen mit barocken Versatzstücken. Laut Programmheft ist dieser Salon die imaginäre Insel, die sich die im stummen Vorspiel von der Trennung heimgesuchte Titelheldin Alcina selbst konstruiert, um – ganz auf der Höhe angesagter Psycho-Methoden – in einem Akt autonomer Selbstheilung den Prozess der Trennung sozusagen zu reenacten.
Dabei kommt die Insel ja schon bei Händel vor, seine Zauberoper hat immer schon Regieschaffende besonders angeregt: Eine Zauberin, die auf einer Insel nach eigenen Regeln herrscht und ihre abgelegten Liebhaber in Tiere verwandelt! Das könnte man fast schon als feministische Trash-Fantasie labeln. Aber es geht ja um mehr, um Täuschung, Traum, die wahre Liebe und ob es die überhaupt gibt.
In Wuppertal kündet das Marketing vorab von Sensationen, nämlich von einem „mutig gekürztem Story-Remix“, von „ganz neuem Licht“ auf das Werk, geänderten Reihenfolgen und eigens implementierten „fusionierten Tanzwelten“ mit Hiphop, Streetstyle und so weiter.
Da hat man den Mund etwas vollgenommen, denn erstens sind die Dacapo-Nummern in Barockopern generell nicht so fest gefügt wie die Reihenfolgen etwa in Mozarts „Figaro“, und zweitens sind Tänzer dabei nichts Neues: Bereits 2014 inszenierte Christof Loy – bei dem Julia Burbach übrigens assistierte – in Zürich „Alcina“ mit sechs Tänzern.
Organischer Tanz-Mix
Macht auch nichts, dass die Wuppertaler Inszenierung überhaupt nicht so streetstyle-mäßig rau ist wie angekündigt. Im Gegenteil, Julia Burbach versteht es, die gefährlichen Längen der Dacapo-Arien elegant zu füllen mit schlüssiger Aktion, die Tänzer-Truppe wird dabei maßvoll eingesetzt, abgesehen von Alcinas Trauerarie „Ah, mio cor!“, in der die Schmerz-Verrenkungen der Fünf doch etwas bemüht wirken. Ansonsten haben die beiden Choreografen Cameron McMillen, der vom klassischen und Modern Dance kommt und Ben Wichert aus der HipHop- und Urban-Dance Szene einen organischen Mix gefunden.
Cécile Trémolières, die auch die flexible Bühne mit Salon, hinten aufscheinendem Garten und dem nüchternen Hausflur ersonnen hat, bedient sich bei den Kostümen munter in den Jahrhunderten: Alcinas himbeerrotes Etuikleid wird mit Krinolinenrock, Turmperücke und üppigen Armstulpen zur Rokokorobe, ihre Schwester Morgana trippelt im fluffigen Tüllrock herein, ihr Liebhaber Oronte im güldenen Rokoko-Rock stolziert als Zeremonienmeister umher, Alcinas Ex Ruggiero dagegen trägt einen braunen Anzug mit Hals- und Einstecktuch, wie er seit den 1940er Jahren bis heute durchgehen würde, seine Geliebte Bradamante ein steifes Kleid der 1950er Jahre, Melisso schlurft als Clochard über die Bühne.
Die Regie – eng am Libretto
Julia Burbachs Regie bleibt immer eng am Libretto, abgesehen von der Selbst-Inszenierungs-These liefert sie keine radikalen Um- oder Neudeutungen, sondern inszeniert flüssig, mit Sinn für Witz und eng verzahnt mit Dominic Limburgs Dirigat im hochgefahrenen Graben. Einmal mehr muss man die stilistische Versiertheit des Sinfonieorchesters Wuppertal rühmen, die Wagner und Zemlinsky so beherrschen wie das barocke Idiom. Schlank und spielfreudig arbeitet sich das Kollektiv durch Händels kleinteiliges Koloraturgewirr, beredt schnattern die Holzbläser, auch die Hörner sind superb. Limburg stimmt bisweilen Tempi an der Grenze der Machbarkeit an, anfangs wirkt manches noch etwas verhuscht, doch er gönnt sich auch Inseln der Ruhe und findet zunehmend Gewicht im Ausdruck.
Margaux de Valensart besitzt einen robusten Sopran für die Titelrolle und meistert deren Höchstschwierigkeiten gekonnt, zum reinen Händelglück fehlt eine Varianz der Farben, die Höhe klingt etwas diffus. Reizend im Timbre ist Subin Parks Morgana-Sopran, aber die Stimme ist insgesamt zu leicht und sondert später spitze Töne in der extremen Höhe ab. Countertenor Randall Scotting hat zunächst leichte Anlaufschwierigkeiten, findet dann aber zu gerundetem Gesamtklang und pointierter Gestaltung, Edith Grossmans Bradamante klingt ein wenig zu hell für die schwierige Mezzopartie, Melisso (Erik Rousi) und Oronte (Sander de Jong) machen das Beste aus ihren kleinen Rollen.
Im Publikum steigt während der auf 2,5 Stunden gekürzten Premiere spürbar die Barock-Wonne, in den Arien-Applaus mischen sich zunehmend Bravi, am Ende große Begeisterung.