Wütende Nabelschau

Falk Richter/Anouk van Dijk: Protect me

Theater:Schaubühne am Lehniner Platz, Premiere:27.10.2010 (UA)

Am Anfang steht das Wort „Ich” und eine Maschinengewehrsalve, die die sechs Körper auf der in stilvoll düsterem Anthrazit gehaltenen Bühne brutal niedermäht. Damit ist programmatisch bereits das Feld der dritten Zusammenarbeit des Autoren und Regisseurs Falk Richter und der Choreografin Anouk van Dijk abgesteckt. Wieder einmal geht es darum, wie hemmungslose Nabelschau zugleich die extreme Widersprüchlichkeit und Brutalität der globalisierten Wirklichkeit erfahrbar machen soll. Während in ihrer Erfolgsinszenierung „Trust” die scheinbar banale Gleichsetzung der Instabilität menschlicher Beziehungen und weltwirtschaftlicher Krisen eine dramaturgisch minutiös getaktete Revue mäandernder Textfragmente und aus dem Gleichgewicht geratener Körper in Bewegung setzte, driftet im Folgeabend „Protect me” alles rettungslos auseinander.

Die künstlerische Krise eines Theaterautoren mit politischem Anspruch, die Flutkatastrophe in Pakistan, schwule Datingportale, Depression in Hotelzimmern, das Sterben des Vaters und eine Menge brillant formulierter Satire über die Wellness-Industrie verbinden sich zu einem Bewusstseinsstrudel, der leider nur selten echte Sogwirkung entfaltet. Dabei bleiben die sechs Interpreten theatrale Abziehbilder, die mit bewundernswerter Technik einen halbgaren Szenenschnipsel nach dem anderen durchexerzieren. Sehr vieles ist peinlich und missglückt in diesem Stück, das mit monströser Geste alles will und dabei allzu oft in kabarettistische Untiefen abdriftet. Die soft-pornographische Ästhetik ständig entblößter muskulöser Oberkörper und unsägliche Statements zur aktuellen Integrationsdebatte („niemand ist in unsere Gesellschaft so schlecht integriert wie die Kinder reicher Manager”) hätte man sich als Zuschauer gerne erspart.

Doch enthalten wieder andere Momente soviel Anrührendes über das Sterben, die Einsamkeit und die Ohnmacht des Einzelnen angesichts einer Welt, in der niemand mehr die Kontrolle hat, dass man es Richter noch nicht einmal übel nimmt, wenn er sich ständig auf Büchner bezieht. Büchners Fragment „Lenz”, das auszugsweise auch zitiert wird, weist den Weg durch das textliche Dickicht. Ein Ich, das die undurchschaubare Welt, die es umgibt, so ungefiltert und brutal erlebt, kann am Ende nur an sich selbst scheitern. Richters Verdienst ist es, dass „Protect Me” trotz allen elegischen Selbstmitleids immer noch so viel Wut transportiert, dass man begreift: Da ist tatsächlich einer mit dieser Welt nicht einverstanden.