Foto: Wüste © Jasmin Schuller
Text:Barbara Behrendt, am 18. April 2024
„Wüste“ von Sam Max am Deutschen Theater Berlin reproduziert heteronormative Stereotype. Was der Uraufführung fehlt, sind fühlbare Abgründe der eigenen Existenz. Diese Kritik entstand für das Sonderheft DIE QUEERE BÜHNE.
Dennis liegt mit seiner neuen Flamme Rebecca im Bett, als seine verschollene Frau Sarah plötzlich mit verbrannter Haut, geschunden in der Tür steht. Dennis: „Ich wollte dich niemals verletzen, Sarah.“ Sarah: „Das weiß ich doch. Ich weiß.“ Dennis: „Ich brauchte nur etwas Gesellschaft, während du weg warst. Um das Loch in mir zu füllen. Das Loch, das du hinterlassen hast. Ich hoffe, dass diese Männer bekommen, was sie verdienen. Du weißt, dass ich dir niemals so etwas antun würde. Das weißt du doch, oder, Sarah?“
Klingt wie aus einem schlechten Drehbuch? Das liegt daran, dass es aus einem schlechten Drehbuch stammt. Tom und Chloe sind amerikanische Filmschauspielerinnen, die in ihrem Motel irgendwo in der Wüste nahe dem Filmset das Skript ihrer Figuren Dennis und Sarah zwischen den Dreharbeiten durchgehen.
Allerdings entgleiten ihnen dabei die Grenzen von Realität und Fiktion. Denn Chloes Gesicht ist ebenso versehrt wie das ihrer Figur Sarah – nicht wegen einer Massenvergewaltigung, sondern aufgrund einer Schönheits- und einer Augen-OP, deren Wunden für den Dreh noch verheilen müssen. Blind irrt sie durchs Zimmer, während ihre Assistentin Hannah sie mehr gängelt als unterstützt. Hannah wird zu Rebecca: die Frau, die sich im Drehbuch an den Ehemann ranmacht.
Bechel-Test nur knapp bestanden
Schon klar, worauf Sam Max, queere:r US-amerikanische Autor:in und Regisseur:in (für Film und Theater) hinauswill: die Einsamkeit hinter der Hochglanzfassade der eigenen Existenz, Machtstrukturen, Abhängigkeiten, die Illusion von Liebe. Das, was Ingmar Bergman mit sogartiger Wucht bis in die tiefsten Abgründe erforscht hat.
In Sam Max‘ amerikanischer Version ist vom Sog nicht der leiseste Hauch geblieben. Denn Tom, Chloe und Hannah sind – Stichwort: innere Leere – so hohl wie die Filmfiguren, die sie spielen. Das ist das größte Problem dieses Stücks. Die beziehungsweise der queere Autor:in reproduziert ausgerechnet die heteronormativen Stereotype der sexuell geschundenen Frau und der grausamen Intrigantin, die einander im Kampf um den stumpfsinnigen männlichen Helden die Augen auskratzen. Den Bechdel-Test (unterhalten sich Frauen über mehr als Männer?) wurde der Text nur knapp bestehen.
Die Uraufführung, inszeniert von Sam Max selbst, verstärkt das erstaunlicherweise noch, indem das dreiköpfige Ensemble seine Figuren im drehbaren Hotelzimmer auf der kleinen Bühne in keiner Sekunde ernst nimmt. Eine von der Regie beabsichtigte Überzeichnung? Selbst wenn – die langen zwei Stunden mit diesen Barbiepuppen führen zu keiner neuen Erkenntnis.
Hier finden Sie das komplette Sonderheft DIE QUEERE BÜHNE.