Szene mit Svetlana Ignatovich (Fevronja) und Maxim Aksenov (Prince Vsevolod).

Wucht der Bilder, Suggestionskraft der Musik

Nikolai Rimski-Korsakow: Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch

Theater:De Nederlandse Opera, Premiere:08.02.2012Regie:Dmitri TcherniakovMusikalische Leitung:Marc Albrecht

Die letzte Oper von Nikolai Rimski-Korsakow (1844–1908), uraufgeführt 1907 im Petersburger Mariinski-Theater, ist eine Apotheose des christlichen Russland zehn Jahre vor dessen Untergang. Die Amsterdamer Produktion, die nach den starken Eingriffen in Stoff und Text des Werks während der sowjetischen Ära einer Wiederentdeckung gleichkommt, bekennt sich in ungekürzter Ausführlichkeit zu den ausladenden Dimensionen und zur Wucht des Originals. Marc Albrecht unterstreicht nicht nur die Momente der Prachtentfaltung, die sich auf gewaltige Chöre und ein außerordentlich groß bestücktes Orchester stützt, sondern hebt auch die Härte der musikalischen Kriegsmomente mit Klarheit hervor.

Zu Beginn wird in einem ausladenden Tableau die vollständige Übereinstimmung zwischen der eremitisch lebenden Fewronija und Gottes unendlicher Natur beschworen. Svetlana Ignatovitch durchmisst die anspruchsvolle Partie mit sicherer Stimmführung in allen Lagen. Sie überzeugt rundweg als Bauernmädchen wie als Prinzessin in den Wechselfällen der Geschichte und schließlich als entrückte Heilige. Zum Naturkind entbrennt ein junger Jäger in Liebe. Dieser Tenor, der sympathisch wirkende und angenehm intonierende Maxim Aksenov, ist kein anderer als der von einem Bären verletzte und einer ersten Hilfe bedürftige Prinz Wsewolod: verliebt, verlobt … nur vor der Heirat kommt noch etwas dazwischen.

Dmitri Tscherniakow erntete, kaum dass sich der Vorhang das erste Mal hob, freudigen Beifall für sein erstes Bühnenbild: Hinter drei majestätischen Kiefernstämmen eröffnet sich in leichtem Morgennebel eine weite Schilfuferlandschaft – so, also sollten Gorkis „Spätsommergäste“ gegeben werden. Neben Fewronijas Holzhütte und mit etwas Abstand zum Esstisch im Freien ragen drei recht roh gezimmerte Leitern in den Rundhorizont: eine erratisch immer wieder aufkreuzende Kleinfamilie – Vater, Mutter, Kind – leisten der Einsiedlerin Gesellschaft, verschönern ihr das Dasein mit einem an einen Baum genagelten Stillleben und bleiben ihr bis zu Tod und Verklärung treu.

Die Stadt Kitesch wird in Tscherniakows entschiedener Bildwelt vom „Haus des Volkes“ in einer postsowjetischen Provinzhauptstadt repräsentiert. Das Volk feiert vor der trostlosen Fassade und wird von einer Art tschetschenischer Terroristen aufgemischt. Im Inneren des Mehrzweckgebäudes findet die große und erfolgreiche Bitte um Errettung von Mord, Plünderung und Vergewaltigung statt. Die Arme Fewronija erwischt es bei der Beuteteilung der Tartaren trotzdem. Der postsowjetische Regisseur zeigt die „politischen Wirren“ und deren für die Einzelnen mitunter unerfreulichen Begleiterscheinungen drastisch und klar. Daher ist die Wiederkehr des traulich erleuchteten Eremitenhäuschens zur Entrückung, die von allzu frommen musikalischem Schwelgen wattiert wird, doch noch plausibel.