Szene aus "Woyzeck"

Dreiecksgeschichte der Künste

Marijn Simons und Tonio Kleinknecht: Woyzeck – ein Opernspiel

Theater:Theater der Stadt Aalen, Premiere:26.05.2023Vorlage:WoyzeckAutor(in) der Vorlage:Georg BüchnerRegie:Tonio Kleinknecht, Lisa-Marie KraußMusikalische Leitung:Neus Estarellas

Das Theater Aalen zeigt das Dramenfragment „Woyzeck“ von Büchner als Opernspiel. Die brüchige Musik von Marijn Simons spiegelt die Seelenzustände von Woyzeck. Auf der Bühne treffen die Künste aufeinander und zeigen große Gesellschaftsprobleme.

Nach Alban Berg oder Tom Waits eine neue Komposition für die Geschichte von „Woyzeck“, wie sie Büchner einst notiert hat, zu erfinden, ist nicht einfach. Kein Wunder, dass der Komponist Marijn Simons und der Librettist Tonio Kleinknecht (der auch Regie führt) ein Jahr zusammengearbeitet haben, um einen eigenen Weg durch Büchners Fragment zu bahnen.

Viel von der Vorlage fällt in Aalen weg: die Szenen mit Andres beispielsweise, die Jahrmarktsszene, die Geschichte der Großmutter („… und war die Erde ein umgestürzter Hafen“) oder die langen Passagen am Wasser. Das Libretto von Kleinknecht konzentriert das Geschehen auf eine Dreiecksgeschichte zwischen Marie, Woyzeck und dem Tambourmajor. Diese bindet er aber ein in die Geschichte mit dem Doktor, der dem Woyzeck eine reine Ernährung mit Erbsen vorschreibt und dem Hauptmann, der ihn mit jovialen Bemerkungen unterdrückt. Sie sind die Vertreter des „Außen“ einer repressiven Gesellschaft.

Musik führt in Woyzecks Inneres

In der Reduktion der Büchnerischen Vielfalt an fragmentarischen Szenen wird der Zugriff des Komponisten deutlich: Was die Musik abbildet, sind die Gefühle des Woyzeck, beziehungsweise das, was sich in seinem Kopf abspielt. Da erstaunt zunächst einmal die karge instrumentale Besetzung: Klavier (Neus Estarellas, die auch die musikalische Leitung inne hat) und Schlagzeug (Bernd Brunk, der auch mit der Tröte Babygeschrei erzeugt). Hinzu kommt ein Saxofon, das vom Tambour (Aubrey Snell) gespielt wird, dem Gegner in der Gunst um Marie. Die Komposition von Marijn Simon lässt sich da von vielen dissonanten Brüchen leiten, wenig melodisch, manchmal in eher jazzigen Tönen eines brüchigen Swings (Saxofon!) ausbrechend.

Zusammenprall der Künste in Aalen

Die Regie von Tonio Kleinknecht und Lisa-Marie Krauß bei dieser Koproduktion von den Opernfestspielen Heidenheim und dem Theater Aalen setzt dabei auf einen ganz besonderen Effekt: dem Zusammenprall von Musik, Schauspiel und Artistik. Die fast leere Bühne von Kleinknecht wird in der Mitte dominiert von einem dreistufigen Podest, rechts ist die Position des Schlagzeugs, links des Klaviers. Die Inszenierung kommt mit ganz wenigen Requisiten aus: Das Podest wird in ein Schachbrett verwandelt, ein Autokindersitz als Symbol für das gemeinsame Kind von Marie und Woyzeck. Für die Doppeldarstellung von Doktor und Hauptmann reicht ein Kostümwechsel von weiß zu schwarzem Ledermantel (Kostüme: Birgit Barth). Larissa Wagenhals spielt und singt diese beiden Rollen, die mit aller Schärfe vorführen, wie staatliche Gewalt sich in das private Leben von Menschen einmischt und es zerstört.

Ein großes Thema dieser Inszenierung ist die Kommunikationslosigkeit, die als Konfrontation zwischen den verschiedenen Kunstformen (Musik, Schauspiel, Artistik) vorgeführt wird. Die Marie der Mayra Bosshard ist vor allen Dingen Artistin, wie auch Larissa Wagenhals. Der Konflikt zwischen Woyzeck und Tambourmajor wird durch dessen weibliche Besetzung zwar vorgeführt, aber weitgehend reduziert: Im Zentrum steht Musa Nkuna als Woyzeck, der sich in dieser Welt als Tenor zu behaupten versucht, erst staunend, dann verzweifelnd, am Ende aggressiv Marie abstechend.

Deutlich ist spürbar, dass die Komposition von Simons ihre Akzente auf diese Rolle legt. Musik, Artistik und Schauspiel finden nicht zusammen: im Fall „Woyzeck“ wollen sich die verschiedenen „Sprachen“ nicht miteinander verbinden und die Komposition legt diese Disparatheit offen.

Theater über Kommunukationsprobleme

Diese Einsicht in das Scheitern der Kommunikation zwischen verschiedenen Kunstformen ist das große Ereignis dieser kurzen v40-minütigen Produktion: Sie bildet zugleich ab, dass diese Menschen in ihren eigenen „Blasen“ leben und nicht zusammenkommen können. Dass sie darüber hinaus beansprucht, nicht nur eine Erzählung über das Subjekt „Woyzeck“ zu sein, sondern auch ein heutiges Gesellschaftsabbild widerspiegelt, wie auch die Kostüme von Birgit Barth betonen.

Es wirkt irritierend, wenn mit den berühmten Sätzen „Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord“ die Kammeroper endet, aber Woyzeck ein Gewehr erhält und als Soldat davonmarschiert: Wird der Femizid an Marie gleichgesetzt mit den Morden von Soldaten an Zivilisten?