Die Walküren in der Schönheitsklinik
Auf den und dessen Weltabschiedsschmerz hatte Regisseur Valentin Schwarz ohnehin die letzten Szenen mit Brünnhilde ausgerichtet. Wotan am Boden, ganz allein auf leerer Bühne. Brünnhilde (und ihr Begleiter Grane) längst nicht mehr zu sehen, Siegmund tot, Sieglinde irgendwo verschollen. Die Walküren sind diesmal tatsächlich das von Wagner so herrlich unkorrekt betitelte Weibergezücht: Diese Brut ist nur mit sich selbst beschäftigt. Die Trauerfeier für die im „Rheingold“ (wahrscheinlich von eigener Hand, was aber nicht von allen Plätzen zu sehen war, für die Mittelplätze also eine Überraschung) zu Tode gekommene Freia am Beginn des zweiten Aktes ist für diese Frauen nur die Gelegenheit eines Auftritts mit einer Überdosis bella figura. Filmreif, wie da eine mit ihrer Designerhandtasche auf den Sarg drischt. Es wird seine Gründe haben, wenn diese Frauen sich zur auftrumpfenden Walkürenrittmusik alle in einer Schönheitsklinik wiederfinden, wo es zum Lifting, der neuen Nase oder dem vergrößerten Busen auch noch die neueste Kollektion von High Heels gibt, und sich die adretten Verkäuferbuben mal so nebenbei begrapschen lassen müssen.
Klar, dass die für die Sorgen, die sich Brünnhilde und ihr sensibles Grane-Mannsbild um Sieglinde und den zwischenzeitlich schon geborenen Siegfried machen, nicht einen Funken von Verständnis aufbringen. Sie sind mit sich und ihren Selfies voll ausgelastet. So penetrant, dass Grane eins von den Smartphones zertritt und das halbe Dutzend Sicherheitsleute, das Wotan vorsorglich bei der Verfolgung seiner trotzig abtrünnigen Lieblingstochter dabei hat, die Pistolen ziehen, um diesen Wartesaal zu räumen. Wenn Kinder im „Rheingold“ noch wie ein Versprechen auf Zukunft daherkamen, dann ist das im Falle der Walküren schon mal gründlich schief gegangen.
Brünnhilde passt es hier von Anfang an nicht, dass Wotan seine Order, Siegmund zu schützen, zurück nimmt. Sie wirft sich schreiend auf’s Sofa, als sie realisiert, was das bedeutet und schafft die Todesverkündigung auch nur, weil sowohl Wotan als auch Fricka anwesend sind und sie im Auge behalten.
Inszest und die Logik der Neuerzählung
Wenn sich Wotan aber, während Siegmund um sein Leben kämpft, an Sieglinde zu schaffen macht und seiner schwangeren Tochter (!) unter den Rock greift und ihr die Strumpfhose herunterzieht, während die von traumatischen Erinnerungen heimgesucht wird, stellt sich noch einmal eine der Fragen, über die auf dem Grünen Hügel bei diesem Ring trefflich gerätselt werden darf. Nämlich die, wer eigentlich der Vater von Klein-Siegfried ist. So, wie wir das Personal bislang kennengelernt haben, kommen dafür – anders als bei Wagner vorgesehen – nicht nur ein, sondern gleich drei Männer in Frage. Hunding als unfreiwilliger, aber sozusagen rechtmäßiger Ehemann. Nach der erwähnten Übergriff-Szene diesmal sogar Wotan (auf einen Inzest mehr kommt es bei der Sippe auch nicht mehr an). Und natürlich ihr Bruder Siegmund. Da Schwarz mit den Zeitmaßen und üblichen Setzungen bewusst freizügig umgeht, kann die szenische Rückblendung in die beiden Kinderzimmer der Zwillinge in der Villa zum großartig gesungenen Duett von den Winterstürmen, die dem Wonnemond wichen, durchaus auch bedeuten, dass die beiden erst viel später, also als der Inzest schon passiert war, getrennt wurden. Das kollidiert zwar mit dem Text, läge aber in der Logik der Neuerzählung der Geschichte.
Wie man sich hier überhaupt als Zuschauer nicht von einer Fricka-Perspektive (die nur das stets gewohnte verstehen kann) leiten lassen sollte, sondern eher von Wotans Lust auf Ungewohntes (oder dem Hans-Sachs-Motto, der seinem Schützling Stolzing empfiehlt, die Regeln selbst zu setzen und ihnen dann zu folgen). Die erste Variante bringt jedenfalls unnötigen Verdruss und die Buhs am Ende der Premiere. Variante zwei dagegen macht Freude und hält die Spannung auf das, was kommt, wach. Der Rezensent bevorzugt eindeutig die zweite Variante. Zumal das die Freude an der Musik deutlich erhöht. Über diese Steigerung im ersten Akt bis zum blühenden Wälsungenblut und dem Jubel über einen wirklich gut in der Rolle des Siegmund angekommenen Klaus Florian Vogt. Und für – trotz ihrer Jugend – längst zum hiesigen Publikumsliebling avancierte Sieglinde Lise Davidsen. Georg Zeppenfeld ist wieder einer von den Felsen in den Brandung. Ob Marke oder hier Hunding: alles erste Güte! Iréne Theorins Brünnhilde ist mehr Klang, so wie auch Koniecznys Wotan, der dann aber bei Kupfer-Radetzky auch zum Wort wird. Christa Mayer ist eine Fricka von Format. Bei den Walküren geht mancher Schatten im Lichte des Jubelgebrülls unter. Cornelius Meister war ohnehin im Ring-Modus und zeigt jetzt, was er drauf hat.