„Die Walküre” in der Regie von Valentin Schwarz

Wotan am Boden

Richard Wagner: Die Walküre

Theater:Bayreuther Festspiele, Premiere:01.08.2022Regie:Valentin Schwarz

Wie zu erwarten geht es in dieser Bayreuther „Walküre“ zum Auftakt natürlich nicht in eine Waldhütte, die um einen Baum herum gezimmert ist und in der ein Kaminfeuerchen brennt. Diesmal ist es eine Kellerwohnung, ziemlich zugemüllt. Eine Elektroheizung glimmt, sonst wird mit der Taschenlampe herumgefunzelt. Der Strom ist weg – für die schwangere Frau, die man da als Schatten herumgeistern sieht, kein Zuckerschlecken. Immerhin versucht Hunding am Sicherungskasten, das Licht wieder in Gang zu setzen. Die Trittleiter klappert vernehmbar. Zu all dem tobt im Graben die Sturmmusik. Mit der leitet Cornelius Meister ein insgesamt packendes Walkürendirigat ein, mit leisen Tönen und Auftrumpfen. Hunding zieht hier aber nicht in den Kampf, sondern macht sich auf die Suche nach neuen Sicherungen für die marode Elektrik.

Marode Möbel und Wotans Unfall

Er hätte mal gleich noch beim Möbelladen vorbeischauen sollen, denn was Familie Wotan, die offensichtlich sein Arbeitgeber ist, im Salon stehen hat, sieht nur aus wie ein solides Designer-Sitzmöbel, taugt aber nicht wirklich was. Denn als sich Wotan im zweiten Aufzug arglos darauf niederlässt und ausstreckt, kracht das Ding mit Karacho zusammen. Hunding – eigentlich ist es sein geistesgegenwärtiger Interpret Georg Zeppenfeld – räumt zwar die abgebrochene Lehne beiseite, damit nicht noch mehr passiert. Aber die Wir-machen-weiter Professionalität, mit der Tomasz Koniecny seinen Wotan bis ans Ende des zweiten Aktes durchbringt – ohne sich was anmerken zu lassen! – reicht nicht mehr für den dritten Akt. So kommt auch mal der Pressesprecher der Festspiele, Hubertus Hermann, zu seinem Kurz-Auftritt für die notwendige Ansage. Nun ist in Bayreuth soviel vokale und darstellerische Wagnerkompetenz versammelt, dass so ein Missgeschick in der Chefetage niemanden wirklich aus der Ruhe bringen muss. Für den Ersatzspieler bzw. -sänger reichte die Pause zum Aufwärmen und schon bekam der als Gunther in der „Götterdämmerung” ohnehin vorgesehene Michael Kupfer-Radetzky seine Wotan-Chance und nutzte sie! Darstellerisch als hätte er Wotan einstudiert, vor allem aber vokal. So gab es – womit schon niemand mehr gerechnet hatte – einen wunderbar wortverständlichen Abschied Wotans.

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Die Walküren in der Schönheitsklinik

Auf den und dessen Weltabschiedsschmerz hatte Regisseur Valentin Schwarz ohnehin die letzten Szenen mit Brünnhilde ausgerichtet. Wotan am Boden, ganz allein auf leerer Bühne. Brünnhilde (und ihr Begleiter Grane) längst nicht mehr zu sehen, Siegmund tot, Sieglinde irgendwo verschollen. Die Walküren sind diesmal tatsächlich das von Wagner so herrlich unkorrekt betitelte Weibergezücht: Diese Brut ist nur mit sich selbst beschäftigt. Die Trauerfeier für die im „Rheingold“ (wahrscheinlich von eigener Hand, was aber nicht von allen Plätzen zu sehen war, für die Mittelplätze also eine Überraschung) zu Tode gekommene Freia am Beginn des zweiten Aktes ist für diese Frauen nur die Gelegenheit eines Auftritts mit einer Überdosis bella figura. Filmreif, wie da eine mit ihrer Designerhandtasche auf den Sarg drischt. Es wird seine Gründe haben, wenn diese Frauen sich zur auftrumpfenden Walkürenrittmusik alle in einer Schönheitsklinik wiederfinden, wo es zum Lifting, der neuen Nase oder dem vergrößerten Busen auch noch die neueste Kollektion von High Heels gibt, und sich die adretten Verkäuferbuben mal so nebenbei begrapschen lassen müssen.

Klar, dass die für die Sorgen, die sich Brünnhilde und ihr sensibles Grane-Mannsbild um Sieglinde und den zwischenzeitlich schon geborenen Siegfried machen, nicht einen Funken von Verständnis aufbringen. Sie sind mit sich und ihren Selfies voll ausgelastet. So penetrant, dass Grane eins von den Smartphones zertritt und das halbe Dutzend Sicherheitsleute, das Wotan vorsorglich bei der Verfolgung seiner trotzig abtrünnigen Lieblingstochter dabei hat, die Pistolen ziehen, um diesen Wartesaal zu räumen. Wenn Kinder im „Rheingold“ noch wie ein Versprechen auf Zukunft daherkamen, dann ist das im Falle der Walküren schon mal gründlich schief gegangen.

Brünnhilde passt es hier von Anfang an nicht, dass Wotan seine Order, Siegmund zu schützen, zurück nimmt. Sie wirft sich schreiend auf’s Sofa, als sie realisiert, was das bedeutet und schafft die Todesverkündigung auch nur, weil sowohl Wotan als auch Fricka anwesend sind und sie im Auge behalten.

Inszest und die Logik der Neuerzählung

Wenn sich Wotan aber, während Siegmund um sein Leben kämpft, an Sieglinde zu schaffen macht und seiner schwangeren Tochter (!) unter den Rock greift und ihr die Strumpfhose herunterzieht, während die von traumatischen Erinnerungen heimgesucht wird, stellt sich noch einmal eine der Fragen, über die auf dem Grünen Hügel bei diesem Ring trefflich gerätselt werden darf. Nämlich die, wer eigentlich der Vater von Klein-Siegfried ist. So, wie wir das Personal bislang kennengelernt haben, kommen dafür – anders als bei Wagner vorgesehen – nicht nur ein, sondern gleich drei Männer in Frage. Hunding als unfreiwilliger, aber sozusagen rechtmäßiger Ehemann. Nach der erwähnten Übergriff-Szene diesmal sogar Wotan (auf einen Inzest mehr kommt es bei der Sippe auch nicht mehr an). Und natürlich ihr Bruder Siegmund. Da Schwarz mit den Zeitmaßen und üblichen Setzungen bewusst freizügig umgeht, kann die szenische Rückblendung in die beiden Kinderzimmer der Zwillinge in der Villa zum großartig gesungenen Duett von den Winterstürmen, die dem Wonnemond wichen, durchaus auch bedeuten, dass die beiden erst viel später, also als der Inzest schon passiert war, getrennt wurden. Das kollidiert zwar mit dem Text, läge aber in der Logik der Neuerzählung der Geschichte. 

Wie man sich hier überhaupt als Zuschauer nicht von einer Fricka-Perspektive (die nur das stets gewohnte verstehen kann) leiten lassen sollte, sondern eher von Wotans Lust auf Ungewohntes (oder dem Hans-Sachs-Motto, der seinem Schützling Stolzing empfiehlt, die Regeln selbst zu setzen und ihnen dann zu folgen). Die erste Variante bringt jedenfalls unnötigen Verdruss und die Buhs am Ende der Premiere. Variante zwei dagegen macht Freude und hält die Spannung auf das, was kommt, wach. Der Rezensent bevorzugt eindeutig die zweite Variante. Zumal das die Freude an der Musik deutlich erhöht. Über diese Steigerung im ersten Akt bis zum blühenden Wälsungenblut und dem Jubel über einen wirklich gut in der Rolle des Siegmund angekommenen Klaus Florian Vogt. Und für – trotz ihrer Jugend – längst zum hiesigen Publikumsliebling avancierte Sieglinde Lise Davidsen. Georg Zeppenfeld ist wieder einer von den Felsen in den Brandung. Ob Marke oder hier Hunding: alles erste Güte! Iréne Theorins Brünnhilde ist mehr Klang, so wie auch Koniecznys Wotan, der dann aber bei Kupfer-Radetzky auch zum Wort wird. Christa Mayer ist eine Fricka von Format. Bei den Walküren geht mancher Schatten im Lichte des Jubelgebrülls unter. Cornelius Meister war ohnehin im Ring-Modus und zeigt jetzt, was er drauf hat.