Schon dieser Verweis auf den versuchten Kauf Grönlands durch Donald Trump im Jahr 2020, während die Bevölkerung des von ihm regierten Landes zu Hundertausenden einem pandemischen Virus erliegt, macht unmissverständlich klar: Die Absurdität der Wirklichkeit ist nicht zu überbieten. Die wenigen verbliebenen Bewohner:innen der Insel sowie des Ozeans, der selbst auch nur noch eine toxische Brühe ist, stürzen sich jedenfalls auf ihn und taufen ihn, der nichts mehr hat, nicht mal einen Namen, Burt Turrido. Er wird zur ultimativen Projektionsfläche für sämtliche Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen, bringt am Ende aber – so viel sei gesagt – auch keine Rettung.
Musiktheater voller Krisen
So versammelt diese Oper, die in Frankfurt gemeinsam vom Schauspielhaus und dem Monsuntourm präsentiert wird, die wesentlichen Krisen unserer Zeit: Neben dem unaufhaltbaren Klimawandel, der Zerstörung und Unterdrückung durch tyrannische Herrscher und den von beidem ausgelösten massiven Fluchtbewegungen weltweit eben auch die verhärteten Fronten identitäts- und geschlechterpolitischer Diskurse, die unsere Gegenwart so wesentlich prägen. Zeiten der Krise sind immer auch Zeiten von Gedankenspielen: Aus der Psychologie weiß man, dass der Mensch dazu tendiert, die Möglichkeiten des am schlimmsten anzunehmenden Verlaufs eines krisenhaften Zustands mental durchzuspielen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein und nicht von diesen überrascht zu werden, sollten sie eintreten. Dieser Musiktheaterabend ist geradezu ein Kaleidoskop solcher Worst-Case-Szenarien und fängt damit die Katastrophe als akutes Gefühl der Gegenwart ein. Es ist ein Musiktheater des Zeitgeistes.
Es ist aber auch ein Musiktheater über Musiktheater: Der Abend ist ein durchkomponierter Wechsel aus rezitativischen und ariosen Passagen, gespickt mit Ensemble-Szenen und tänzerischen Einlagen. Er bedient sehr konsequent viele Merkmale der Gattung Oper, verliert dabei aber durch die Stilistik der Musik selbst nie die ironische Brechung: Gesungen, getanzt und musiziert wird hier nämlich wie im Amerika des Country, des Line Dance und des Western. Mit beeindruckender Konsequenz werden diese Stilmittel im Sinne einer Oper eingesetzt: mehrstimmiger Satzgesang, Seiteninstrumente wie Banjo, Fiddle und Westerngitarre (leider vom Band) und die typische Rhythmik, auf die sich nicht nur die zahllosen Schrittfolgen tanzen lassen, sondern die auch das Deklamatorisch-Rezitative des Geschichten Erzählens ermöglicht. Gerade Robert M. Johanson performt in einer atemberaubenden Ausdauer in typischer Bruststimme mit jeder Menge ‚Twang‘ und begleitet seinen Gesang beständig mit komplizierten Schrittfolgen.
Wie so manche Oper ist allerdings auch diese etwas zu lang. In ihrer ausufernden Detailtiefe und gleichzeitigen Lakonie sind manche Erzählungen der insgesamt 14 Szenen geradezu quälend. Doch die Großartigkeit der Ensembleszenen, die alle Elemente wunderbar kulminierend zusammenbringen und die immer wieder zu Szenenapplaus führen, ist gleichfalls opernhaft. Der Abend am Frankfurter Schauspiel macht sich dennoch auch frei vom unbedingten Willen zu Perfektion, der ebenso zentral zur Opernpaxis gehört. Liebevoll naiv wie Schultheater stellt sich die Szene zusammen aus bemalten Vorhängen, wellenförmigen Sperrholzbändern und einem Ozean aus blauem Samt. In Kombination mit dem für das mitteleuropäische Ohr ungewohnten und auf individuellen Ausdruck denn auf perfekte Intonation ausgelegten Country-Gesang ist der Abend so sympathisch, dass man ihm trotz seiner Längen bis zum Schluss zugetan bleibt.