Foto: im Bild: Elke Wollmann © Ludwig Olah
Text:Florian Welle, am 7. Juni 2016
Sicherheitskontrolle: Bevor man die spärlich beleuchtete THW-Halle im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände betreten darf, heißt es die Arme hochnehmen und die Taschen aufmachen. Doch bis man dann zu den im monumentalen Raum herumstehenden Hockern gelangt, muss ein Parcours aus Holzkäfigen passiert werden. Darin am Boden kauernde Gefangene mit verbundenen Augen. Sie werden später den Chor bilden. Von den meterhohen Backsteinwänden flimmert einem eine Videoprojektion entgegen. Auch sie zeigt zusammengepferchte Häftlinge.
„Töt‘ erst sein Weib!“ heißt das jüngste Musiktheater-Projekt der Staatsoper Nürnberg, das diese in Kooperation mit der Hochschule für Musik auf den Weg gebracht hat. Als musikalische Vorlage dient Beethovens einzige Oper „Leonore“, besser bekannt als „Fidelio“. Das Werk hat eine lange Entstehungsgeschichte, ehe es in der dritten Fassung und mit der vierten Ouvertüre 1814 in Wien unter der Leitung Beethovens erstaufgeführt wurde. Doch all dies muss der Besucher nicht wissen, um der Inszenierung von Stefan Otteni folgen zu können.
Beethovens Freiheits-Oper dient dem Regisseur als theatrale Spielvorlage, die er um die einzelnen Arien herum entwickelt hat. Erweitert um zwei Sprechrollen und angereichert mit jeder Menge Fremdtext – etwa Murat Kurnaz Bericht aus Guantanamo. So soll ein aktueller Gegenwartsbezug hergestellt werden. Florestans Kerker ist hier wahlweise eine Folterkammer ehemaliger südamerikanischer Militärdiktaturen, ein syrisches Gefängnis von heute oder eben Guantanamo. Natürlich denkt man an diesem besonderen Aufführungsort auch die gesamte Geschichte des Nationalsozialismus mit.
In den 1980er Jahren traten einmal die „Einstürzenden Neubauten“ im Inneren der Zeppelintribüne auf – lärmender Exorzismus des einstigen NS-Ungeists. Mit einer Austreibung hat Stefan Ottenis Inszenierung in der THW-Halle wenig gemein. Statt einer von vier möglichen Ouvertüren erklingt zu Beginn Wolfgang Rihms „Ländler für 13 Streicher“. Leise Töne also stimmen einen auf den Abend ein, der nicht in Gänze zu überzeugen vermag. Das liegt weniger an dem Hochschulorchester, das unter dem Dirigat von Guido Johannes Rumstadt fleißig gegen die mehr als schwierige Raumakustik anmusiziert. Auch nicht an den Sängern und Sängerinnen, von denen vor allem Margarita Vilsone als tapfer und treu liebende Leonore gesanglich und vor allem darstellerisch einzunehmen vermag. Die Nebenpartien sind mit Hochschulstudenten besetzt.
Es ist vielmehr so, dass Stefan Otteni den gigantischen Raum, der vom Dokumentationszentrum seit 2005 vor allem als Ausstellungsraum genutzt wird, inszenatorisch nicht in den Griff bekommen hat. Als Spielfläche dient ihm der weitläufige Mittelteil. Die Zuschauer sitzen auf ihren Hockern zunächst lose verteilt um sie herum. Später werden sie dann mehrmals aufgefordert mit samt den Sitzen umzuziehen. Mal rückt man näher an das Geschehen heran, mal weiter weg, mal bildet man einen Kreis. So wird das dramatische Geschehen permanent unterbrochen, man ist mehr mit damit beschäftigt, wieder einen Platz zu finden, als der Handlung zu folgen. Davon abgesehen: Wird an einem Ende der meterlangen Fläche agiert – gerne auch mit dem Rücken zum Zuschauer –, bekommt man am anderen wenig mit, verlieren sich Wort und Musik. Wäre die klassische frontale Anordnung nicht dichter und packender gewesen? Otteni hat sich jedoch für den Performance-Charakter entschieden, wie er heute am Sprechtheater weitgehend Standard ist.
Es gibt wenige Regieeinfälle, die wirklich nahe gehen. Der Beste: der Kerker, in dem der entrechtete Florestan seit zwei Jahren fern seiner Gattin Leonore schmachtet, befindet sich in schwindelnder Höhe. Sänger Sunggoo Lee kauert in einem Netz, das wie bei einer Trapeznummer im Zirkus aufgespannt ist. Dies ist ein beeindruckendes Bild für die Verlorenheit des zu Unrecht verschleppten und weggesperrten: „Gott! Welch Dunkel hier!“
In einer Nebenhandlung verkörpert Staatstheaterschauspielerin Elke Wollmann eine Frau von heute, deren Mann ebenfalls Opfer eines autoritären Regimes geworden ist. Sie zeigt Bilder des Vermissten und fordert die Zuschauer auf, ihre Stimme zu erheben gegen Diktatur und Willkürherrschaft. Das ist gut gemeint, verdoppelt aber im Grunde nur die Opern-Handlung. Diese hätte Kraft genug für sich alleine zu stehen. Hinweise auf aktuelle Geschehnisse sind schon genug eingebaut. Im Gegensatz zur Oper verweigert Otteni am Schluss das Happy End. Zwar kommt Florestan frei, die anderen Gefangenen jedoch nicht. Und Gefängniskommandant Pizarro, der Schinder, wird sogar befördert.