Foto: Markus Hering in "Jurassic Park" am Anhaltischen Theater Dessau © Claudia Heysel
Text:Tobias Prüwer, am 2. Oktober 2022
„With the lights out, it’s less dangerous / Here we are now, entertain us“ – von hinten, aus dem Dunkeln schleicht sich der Song an. „I feel stupid and contagious / Here we are now, entertain us.“ Erst allmählich wird der Nirvana-Hit in der Interpretation deutlich, die auf der Bühne vom Band kommt. Als sich die Melodie als „Smells like Teen Spirit“ entpuppt, macht sich alte Euphorie im Kritiker breit, in die sich Melancholie mischt. Ist das wirklich schon so alt? Bin ich schon so alt? Wo sind all die Jahre? Mit einer Melodie gelingt es der Inszenierung „Jurassic Park“ am Anhaltischen Theater Dessau die Fragen aufzuwerfen, die im Kern der Produktion stehen. Denn obwohl es um Dinosaurier geht, geht es um diese nicht wirklich.
Als Spiel im Spiel entwirft Regisseur Klaus Gehre seine Auseinandersetzung mit der Dino-Welle, die direkt an deren Ursprung rührt: Michael Crichtons Roman „Dino Park“ und dessen spektakuläre Verfilmung von Steven Spielberg. Einwände, ob man einen Hollywood-Blockbuster wirklich auf die Bühne bringen kann, wischt Gehre lässig beiseite. Wie bei „Mission Mars“, das er bis auf einen Tag genau vor zwei Jahren in Dessau zeigte, greift er auf Materialtheater und Handkameras zurück. Nur setzt er diese Mittel noch intensiver ein. Und wie damals ist seine Bühne eine Art abgeschlossene Laborsituation.
In die grüne Bastlerhöhle aka Dschungelstation tritt das spielende Trio. Tische und Gestelle sind im Raum verteilt, ein Terrarium, eine Couch, eine Art Computerstation mit Tastatur, Joystick, vielerlei Knöpfen und Telefonapparat. Verstreut liegen Zweige, bunte Bälle, Kolben. „Es ist alles noch da. Wie vor 30 Jahren.“ Das Trio schaut sich um, prüft die Gerätschaften, jubelt. Es hat sich dem ersten Anschein nach nichts verändert. Ihre alte Bude ist die alte geblieben. Hier haben sie einst die Welt von „Jurassic Park“ nachgespielt, hier spielen sie nun heute diese Welt nach.
Reflexionen aus dem erwachsenen Leben
Warum sie nach so langer Zeit überhaupt zusammengefunden haben, was die Drei hertreibt, bleibt unbeantwortet. Das Publikum wird mit ihnen hineingeworfen in die Begeisterung für die Geschichte um geklonte Saurier, die im Vergnügungspark gehalten werden, einen korrupten Parkmitarbeiter und von der Leine gelassenen Velociraptoren. Sie zeigen Schlüsselszenen, indem sie grandios zwischen Schauspiel und Materialtheater changieren und beide Medien durch Kameraeinsatz verblenden. Die einzelnen Filmeinstellungen werden auf einer Leinwand hinter der Bühne zu ganzen Szenen. In einer großen Einstellung ist etwa Stephan Korves mit einem Lenkrad in der Hand zu sehen. Eine zweite zeigt einen Scheibenwischer hinter Glas, auf das Wasser gespritzt und Geäst gestreift wird. Mit einer dritten Kamera wird das durchdrehende Rad eines Modellautos eingefangen. Zusammen wird daraus eine Sequenz, in der der korrupte Programmierer sich durch den verregneten Dschungel schlägt, dann feststeckt. Und mittels vierter Einstellung von einem Raptoren gestellt und verspeist wird.
Weil sie sehr geschickt vorgehen, sieht das auf der Leinwand wie ein echter Film aus. Wenn sie gerade die Filmrollen spielen, sprechen die Darstellenden via Mikro, was den Effekt verstärkt. Sie übertreiben ein bisschen im Spiel, wie man sich eben Hollywood-Helden vorstellt. Besonders Marcus Hering kommt stellenweise nah ran an die Mimik von Jeff Goldblum und Sam Neill aus dem Original. Laura Eichten entwickelt am Ende Superheldinnenqualitäten einer Lara Croft. Aus den Szenen springen sie so plötzlich heraus, wie sie diese zu spielen begannen. Dann sind sie wieder die Erwachsenen, die sich an ihre Alter Egos von damals erinnern. Während der eine behauptet, noch das Kind zu sein, zweifelt der andere, wie er früher nur so naiv habe sein können. „Sucht man sich wirklich die Rolle, die man im Leben spielen will, oder greift zur nächstbesten?“, fragt die Dritte.
Diese losen Reflexionen aus dem erwachsenen, vielleicht auch beschädigten Leben, bilden eine zweite Ebene in der Inszenierung. Sie sind nicht bemüht, eher salopp bis lakonisch. Und das macht sie so wirkungsvoll. En passant lösen sie Fragen nach dem eigenen Leben aus. Was habe ich damals eigentlich von „Jurassic Park“ mitbekommen? Ist das alles so lang her? Wo sind all die Jahre? Und welchen Weg hat mein Leben gefunden? Und dann drückt einen Nirvana im Schlussbild noch einmal in den Sitz. „With the lights out, it’s less dangerous …“