Foto: Showtime in Ettlingen © Schlossfestspiele Ettlingen
Text:Eckehard Uhlig, am 23. Juni 2017
Frank, Rocky, Janet, Brad und ihre „Transsexual“-Kumpane rocken lustvoll die Bühne. Richard O’Briens „The Rocky Horror Show“ war einst als Parodie auf das Grusel- und Science Fiction-Kino und vor allem als Anarcho-Spektakel Kult. Jetzt ist es wieder kulty und dürfte bei den Schlossfestspielen im beschaulichen Städtchen Ettlingen, wo Karlsruher Beamte gern ihre Pension verleben, der Renner werden. Jedenfalls steppte bei der enthusiastischen Premiere auch auf der Publikumstribüne der Bär: Rätschen lärmten, Leuchtstäbe fuchtelten in der Luft, Konfetti-Bomben, Spielkarten-Geschosse und Wasserpistolen waren im Einsatz, Leute tanzten und die Bühnen-Protagonisten wurden bei ihren Auftritten mit (den einschlägig tradierten) Zurufen provoziert.
Einer vor allem begeistert die Fans. Marc Lamberty als Frank’N’Furter, ein gedoubelter Franken-stein aus Transsylvanien, der Retortenmenschen zu seinem sexuellen Vergnügen herstellt, ist in Udo Schürmers Ettlinger Festspiel-Inszenierung ein erotomanischer Transvestit par excellence. Sein Körper ist super-sexy gestylt, egal ob die tuntigen Korsagen und Highheels in schwarz oder rot ausfallen. Seine klangschöne, durchdringende Stimme hat betörend sinnlichen Schmelz. Seine Songs „Sweet Transvestite“ im ersten und „Don’t Dream it, be it“ im zweiten Akt besitzen einen eigenwilligen, lüsternen Charme und kribbeln im Bauch. Triumphierend die Gestik des Super-Transi beim Lied „I Can Make You a Man“, geradezu anrührend-traurig die Stimmung in „I’m Going Home“.
Auch die anderen Rollen sind idealtypisch besetzt. Als Kino-Platzanweiserin „Popcorn Girl“ intoniert Natalya Bogdanis in blauer Minirock-Stewardessen-Uniform mit gehärtetem Timbre den Begrüßungs-Song. Dann führt ein spöttelnder Erzähler (Thomas Wißmann), bekleidet mit hellen, kasperlhaft karierten Knickerbockers, in die verwirrende Handlung ein. Brad Majors (Gerrit Hericks), der sich in gut sitzendem Anzug mit roter Fliege und Brille als eine Art Volksbankangestellter und gute Partie für ein anständiges Mädchen geriert und baritonal lyrisch zu singen versteht, sowie das heulbojenhaft süß-schrille Blondchen Janet Weiss (Feline Zimmermann), das in Unterwäsche eine verführerisch gute Figur macht, sind frisch verlobt – haben eine Autopanne und suchen Hilfe bei erwähntem Frank’N’Furter und seinen Dienern in dessen unheimlichem Schloss, wo sie von Horror und Lust-Räuschen überwältigt werden.
Eine nicht enden wollende Kopulierungs-Orgie erwartet das naive Paar – homo, bi, trans und hetero. Natürlich findet die Dauer-Rammelei in einem Lustnest-Bett statt, das Bühnenbildner Steven Koop nicht etwa in der Horizontale, sondern vertikal im Bühnenzentrum – mit rosa-lila-farbener Wäsche ausstaffiert – hinter einer goldenen Flügel-Schiebetür aufgebaut hat. Darin gibt es aber kaum nackte Haut für Voyeure zu sehen, sondern ein ironisch gebrochenes, amüsant-heiteres Liebesspiel mit Überraschungseffekten. Im Bett ist auch der (Titel gebende) Retorten-Jüngling Rocky aktiv, ein blonder Narziss-Schönling von lieblichem Reiz, der in goldglitzernder Windel Frank’N’Furters Menschen-Labor entspringt, später nur ein neckisches Goldhöschen trägt und Lustknabe aller ist. Philipp Dürnberger agiert in dieser Partie hinreißend jugendfrisch. Außerdem ist da noch Riff-Raff (Adrian Kroneberger), der buckelnd-monströse, gedemütigte Diener des Schlossherrn. Er nimmt schlussendlich Rache und tötet Frank und dessen Freunde. Dazu gehört auch Columbia (Eva Klosowski), die mit hinreißender Verve tanzen kann. Dr. Everett Scott, der frühere Lehrer des verlobten Paares (Andreas Krüger), agiert im Rollstuhl sitzend als wunderlich-unsympathischer Greis. Allerhand „Phantoms“ üben unterschiedlichste Funktionen aus.
Musikalisch fetzig und schwungvoll vertanzte Ensembles bestimmen mehrere Szenen (Choreo-graphie: Bart de Clercq). Die rhythmisch punktgenau vom Orchester (Leitung: Jürgen Voigt) eingespielten Musiknummern sorgen für den charakteristischen (manchmal dröhnenden) Musical-Sound. Stephanie Krey hat eine bunte Kostüm-Vielfalt geschaffen, die ein Sonderlob verdient. Nicht nur die strapsigen Liebesdienerinnen sind Hingucker. Langweilig wirkt dagegen die geschlossene schwarze Bühnenrückwand. Da das Stück in einem Schloss handelt, hätte man den Genius loci, den Ettlinger Schloss-Innenhof und seine Fassaden, kreativ nutzen sollen.
Mit phänomenaler Spiel- und Sangesfreude heizt das Final-Ensemble, wie zu Beginn ein Lobpreis auf die gloriose „Science-Fiction-Double Feature-Show“ noch einmal den Jubel an. Die Horror-Kultshow ist 1973 in den Londoner „Upstairs“, einem halb vergammelten kleinen Alternativ-Theater, vor weniger als hundert Besuchern uraufgeführt worden. Im Ettlinger Schloss hat sie den Status eines mit Empfehlung ausgestatteten Musical-Klassikers und Publikumsmagneten erreicht.