Foto: Richard Strauss' "Arabella" am Staatstheater Nürnberg © Jutta Missbach
Text:Dieter Stoll, am 4. Februar 2014
Der alternde Graf Waldner und seine angetraute Adelaide hausen mit ihren beiden Töchtern in einem zweitklassigen Hotel, wo Adel nur noch bedingt verpflichtet. Sie sind so pleite, dass die jüngste Tochter als Sohn maskiert werden muss, um die Aussteuer zu sparen. Alle Hoffnungen ruhen, naja: zappeln auf dem anderen Mädchen, der Hausmacher-Diva Arabella. Sie wird von Grafen und Offizieren umschwärmt, was sie emanzipationsfrei zum ersten Ohrwurm des Stückes geleitet, der da in elegischer Krümmung erörtert, wer wohl „der Richtige“ sei. Die Eltern denken dabei glasklar an Solvenz, das Mädel meint es relativ romantisch. Und weil mit dem reichen Polter-Charmeur Mandryka, der in der Ferne beim Blick auf ein Brustbild aus dem Waldner-Album sogleich „heilige“ Gefühle entwickelte, ein für alle Zwecke passender Kandidat auftaucht, könnte man den Vorhang erfreulich früh am Abend fallen lassen. Soll aber nicht sein. Mit der Konstruktion des unglücklichen Zufalls (hier das hirnrissige Missverständnis von Treuebruch beim Abschied von der „Mädchenzeit“) hat sich schon manche Oper ein elendes Dasein als Einakter erspart, doch so kurios ausgedacht wie bei dieser finalen Bühnen-Partnerschaft von Hofmannsthal/Strauss gibt es das selbst im Genre der unbegrenzten Träume selten.
Die Nürnberger „Arabella“-Neuinszenierung, gut 40 Jahre nach der letzten Produktion an gleicher Stelle, wird als Beitrag zum Strauss-Jahr (150. Geburtstag im Juni) annonciert. Regisseur Andreas Baesler war sich dabei der Fragwürdigkeit der Vorlage, die man samt der Alt-Männerphantasien von den „gehorsam wie ein Kind“ nach ehelichen „Gebietern“ lechzenden Geliebten schnellstens zur Novellierung an Alice Schwarzer weiterreichen möchte, offenkundig bewusst. Er will entkommen und versucht es mit einem Zeitsprung. Was die Autoren ins frühere Jahrhundert zurück verlegt hatten, findet nun direkt in ihrem Lebensraum statt. Die tollen Zwanziger, wo zwischen den Weltkriegen nach übereinstimmenden Legenden auf allen Vulkanen getanzt wurde, sind die neue Kulisse der von Pleitegeiern umkreisten Romanze. Da kann sogar die Fiakermilli (Cornelia Götz plagt sich mit dem Kehlkopf-Feuerwerk) als Marlene Dietrich auftreten, was dem Blauen Engel immerhin posthum das Jodeldiplom einbringt.
Für die Verklemmungen der Kern-Story ist der andere Blick eher problematisch, denn nun wird auf überprüfbare Zeitgeist-Charaktere verwiesen, die jedoch allenfalls Roman-Phantome sind. Das renovierungsbedürftige Hotel im coolen Bauhaus-Design (Bühnenbildner Harald B. Thor lässt auch das Publikum in den Spiegel schauen, aber aus der Ferne tröstend den Prater grüßen) ist in Salon und Foyer doppeltes Aufmarschgelände für die gehobene Panoptikums-Poesie des Originals, die der Regisseur mit Vermenschlichungs-Kommandos bekämpft. Hier darf man auch unsympathisch sein. Am Ende, wenn jeder und jede wirklich jedem verziehen hat und gnadenlos herumgeheiratet wird, spielt das zentrale Liebespaar zum Happy-End auflockernd Haschmich auf der Hinterbühne.
Ekaterina Godovanets führt die Arabella als affektierte Diva mit späten Herzlichkeits-Schüben ein, singt die Titelpartie technisch perfekt, aber kaum anrührend. Der rustikale Kavalier Mandryka ist für den eher lyrischen Jochen Kupfer respektabel bewältigte Schwerarbeit und bleibt in dieser seltsamen Mischung aus ungehobelter Naivität und herzhafter Hingabe ein Fragment. Alle Sympathie gehört der verblüffend vielseitigen Michaela Maria Mayer in der Zdenka-Hosenrolle (sie sang vor einem Jahr hier das „Meistersinger“-Evchen), auch wenn sie die Spitzen der Koloratur-Artistik weniger per Text als in Tonschleifen bewältigt. Graf Waldner (Randall Jakobsh) und Adelaide (Roswitha Christina Müller) spreizen sich so wienerisch wie möglich in Operetten-Karikaturen.
GMD Marcus Bosch hat das Werk, in dem die wiederbelebte kompositorische „Rosenkavalier“-Wucht auf einen schmalen Lore-Roman niederprasselt wie eine Bedrohung aus anderen Welten, schon in seiner Aachener Zeit dirigiert und ist offensichtlich fasziniert vom üppigen Strauss-Orchesterklang. Manchmal sogar geblendet, denn anders als kürzlich bei Wagners „Rheingold“ lässt er hier beim Tüfteln und Befeuern der oft jenseits des Anlasses rauschhaft angelegten Töne öfter mal die Stimmen hinter der akustischen Pracht-Fassade verschwinden. Die deutschen Übertitel über dem deutschen Gesang bekommen jedenfalls ihren Sinn. Dass er vom Pult aus vehement gegen den süßlichen Beigeschmack der Strauss-Konditorei kämpft und in magischen Momenten den lyrischen Zauber vom platten Boden der Theater-Realität abheben lässt, darf man ihm hoch anrechnen. Ansonsten treffen sich Regisseur und Dirigent im Bemühen, die Kitsch-Kolportage mit Unterkühlung genießbar zu halten.
Das freundliche Premierenpublikum nahm das übergroße Gefühl mit mittelgroßem Beifall auf, bejubelte die Protagonisten und schloss dabei auch den zögernd zur Verbeugung antretenden Regisseur ein.