Foto: Warten, warten, vielleicht noch diskutieren: Martin Weigel (Wladimir), Samuel Koch (Pozzo), Robin Krakowski (Lucky) und Matthias Breitenbach (Estragon) im Mannheimer "Warten auf Godot". © Hans Jörg Michel
Text:Manfred Jahnke, am 20. Oktober 2019
„Eine Landstraße. Ein Baum“, so lapidar benennt Samuel Beckett die Szenerie zu „Warten auf Godot“. Auf einer Landstraße kann viel passieren. Da kann eine Kirmes angrenzen, ein Autoscooter-Geschäft zum Beispiel. Das ist die Grundidee von Sandra Strunz (Regie) und Philip Bußmann (Bühnenbild) am Nationaltheater Mannheim, und so erstreckt sich über die ganze Bühnenbreite eine solche Anlage, mit Sicherheitsgang, Kartenhäuschen und allem, was dazu gehört. Und warum auch nicht, Beckett selbst hat in seiner berühmten Inszenierung am Schillertheater das Clowneske seiner Figuren herausgearbeitet, andere Regisseure haben den Zirkus entdeckt, andere wiederum das Entertainmenthafte. So wie man mit Spannung bei jeder Inszenierung auf den Baum schaut und, wenn überhaupt vorhanden, die Blätter zählt.
Sandra Strunz ist eine Regisseurin, die sich gerne mit den Aufführungstraditionen ihrer Stücke auseinandersetzt und mit ihnen bricht. Wobei so eine Autoscooterbahn, die gerade nicht als Jahrmarktsattraktion fungiert – es gibt auch keine entsprechende Musik, sondern eher percussionhafte Töne von Karsten Süßmilch – auch einen Vorteil hat. Das enervierende Warten, das Strunz am Anfang groß ausstellt, einschließlich der Bezüge zur Langeweile, kann in den Aktionen mit den Scootern übertüncht werden, die merkwürdigerweise zu Beginn geschoben und erst später gefahren werden, um die notwendigen Crashs akzentuiert zum Text zu setzen. Das gibt der Inszenierung zugleich einen sehr spielerischen Charakter, was auch die Besetzung unterstreicht. Matthias Breitenbach erspielt sich als Estragon clowneske Züge mit leichten cholerischen Tönen, dabei philosophisch bauernschlau. Martin Weigel hingegen legt den Wladimir intellektuell an, er hat den Durchblick, ist dabei auch eitel (wie anders sollte man die Pfauenfeder interpretieren, die er im ersten Teil mit sich herumträgt?) und emotional-impulsiv.
Während die Darstellung der Rollen von Estragon und Wladimir noch im Rahmen der Aufführungstradition steht, sind Lucky und Pozzo jung besetzt. Nach dem Überraschungsauftritt der beiden, die in einem dritten Autoscooter total ineinander verknotet über eine Rampe auf die Bühne kommen – und über diese auch wieder wegfahren –, entwickelt sich ein Herr-Knecht-Spiel, aber enthierarchisiert: Samuel Koch, in goldglänzendem Kostüm, spielt einen feinsinnigen Herrn, müde, sich vor dem Leben ekelnd. Robin Krakowski stellt hingegen einen jungen koboldhaften Lucky vor, der mit seinem großen Solo des Denkens, in dem er mit Genuss die Phrasenhaftigkeit theoretischer Sätze auseinanderpflückt, Beifallsstürme herausfordert. Karsten Süßmilch spielt den Jungen, der von Godot geschickt wird, verklemmt, sich bei seinen Botschaften sichtlich unwohl fühlend.
Und der Baum? Ist im ersten Teil eine Art fülliger Bonsaibaum, gemalt auf einer Kulissenwand, die die Bühne nach hinten abschließt, mit vielen Blättern. In Umkehrung des Textes erscheint im zweiten Akt ein langer kahler Baumstamm. Und das im Sommer, denn nun sind Estragon und Wladimir sommerlich gekleidet (Kostüme: Daniela Selig). Wladimir führt nun mit einem Schmetterlingsnetz den berühmten Canvas „Jagd auf eine Fliege“ vor, Karsten Süßmilch erzeugt deren Brummen entsprechend mit der Posaune. Diese Umkehrung, die dem zweiten Teil etwas Dystopisches gibt, erinnert nicht zufällig an die Klimakatastrophe. Denn Strunz stellt nun mit Estragon und Wladimir die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Handelns. Und eine kleine Aktion gibt es ja am Ende, die beiden verabreden sich zum Gehen – allerdings, um am nächsten Tag wieder zu kommen.